Tf-n tl N tAUSWAHbAUS-DBN [0^^ UNRUHIG STEHT^DIE SEHNSUCHT K(/F.QKF.N.a[ JSn-AV. PAI.I<-F-.9 Ipreaenteö to Zhc Xibrar? of tbe xnniveröit? of ^Toronto bß 1 N^^m, »UNRUHIG STEHT DIE SEHNSUCHT AUF« Eine Auswahl aus den Werken von GUSTAV FALKE Im Auftrage der Hamburger Lehrer* Vereinigung zur Pflege der künstlerischen Bildung herausgegeben von Guido Höller * * « 1. bis 5. Tausend Alfred Janssen Hamburg und Berlin 1911 ZUR EINFÜHRUNG In meinen Versen weint und lacht, was mir mein Leben reich gemacht. Man hat Deutschland das Land der Dichter und Denker genannt, und auch für mich ist dieser Ausspruch mehr als eine gefallige Alliteration. An Dichtern wenig«» stens sind wir überreich. Das Wort Gottfrieds von Straßburg: Der Nachtigallen, der sind viel, hat für un»» sere Zeit größere Geltung als für die Tage der ritter* liehen Dichtung. Die leichte Gelegenheit, in den zahl«» losen Tageszeitungen und Zeitschriften seine poetischen Erzeugnisse veröffentlichen zu können, bringt immer neue Dichter ans Licht, und auch der Strom der Volkss» dichtung, dem einst das Volkslied entstieg, rinnt noch immer kräftig dahin, wovon die Preisausschreibungen für die besten Märchen und Balladen und die Frei*« Stundenkunst der unteren Volkskreise vollgültiges Zeug»» nis ablegen, wie ja auch diese Unterströmung die Vor«» bedingung für die Geburt hervorragender Begabungen ist. Aber diese sind doch selten; trotz der vielen Talente sind es doch nur wenige, die sich über ihre Zeit hinaus Bedeutung bewahren werden. Sind es auch nicht lauter funkelnagelneue Dichter, die die jüngsten Ideen auf»» greifen und formgewandt aussprechen, oder glatte Nach*» treter, die in einer beliebten Manier eifrig fortdichten, so werden sie meist doch von der Zeitwelle gehoben, um mit ihr wieder zu versinken. Denn letzten Endes entscheidet der geistige und seelische Gehalt über das Schicksal einer Dichtung; ist auch die Form veraltet — und sie veraltet langsam, wenn ein Großer sie geschaffen hat — so bezwingt der Leser sie, wenn aus ihr nur noch helles Leben hervorstrahlt. Um Walther von der Vogel:* weide voll genießen zu können, überwindet man gern sprachliche Schwierigkeiten. Immer hat man von Lenz und Liebe, von seiger goldner Zeit, von Freiheit, Män^* nerwürde, von Treu und Heiligkeit gesungen, und immer wird man davon singen, und das menschliche Herz wird nicht müde, ihren Sängern zuzuhören. Sind es doch die Mächte, die dem Menschen das Leben erst wert machen und ihn mit Kraft erfüllen, daß er die großen und kleinen Sorgen des Lebens erträgt und er aufrecht bleibt, wenn ihm die Not der Zeit das Herz zusammen* preßt. Denn das ist der biologische Zweck der Kunst, den Menschen lebensfreudiger und lebenstüchtiger zu machen. Und es gelingt ihr, wenn ein Dichter die Welt mit starkem Empfinden einsaugt und sich mit sugge^* stiver Kraft auszusprechen vermag, daß unsere allgemeine Sonnen«» und Sternensehnsucht frohen Glauben, klare Richtung und festen Willen empfängt. Zu den Dich* tern, die das können, zähle ich Gustav Falke. Über seine Lebensumstände läßt sich leider wenig sagen, da ja eines Dichters Leben in der Regel arm an äußeren Erlebnissen ist und wir bis zu dem Zeitpunkt, wo der Dichter in Falke erwachte, mit Ausnahme we* niger Gedichte auf eine kleine Skizze angewiesen sind, die er 1902 für das Literarische Echo geschrieben hat. Sie ist in allem, was ihn nicht allein angeht, äußerst schweigsam. Aber Falke schreibt jetzt an einem auto* biographischen Roman, der uns endlich die Geschichte seiner äußeren und inneren Entwicklung bringen dürfte ; denn in dieser dichterischen Verhüllung wird es dem Dichter möglich sein, von ihm so nahestehenden Per* sonen freimütig zu erzählen. Mir erscheint es nicht als eine Profanierung, als ein Zerren an wohlbedeckter Blöße, wenn ein voller Einblick in das Leben eines Dichters begehrt wird. Leben und Dichten sind eben nicht zwei getrennte Seiten eines Daseins, sondern das eine quillt mit Naturnotwendigkeit aus dem andern hervor. Jede echte Dichtung ist ein Bekenntnis, das für Augenblicke den Schleier lüftet, daß wir des Dich* ters Innerstes schauen. Und deshalb verlangt das Inter* esse an dem Dichter eine Ergänzung durch sein Leben, damit wir den Zusammenhang der einzelnen Bruchstücke erfahren und wir in seinen Erlebnissen den Schlüssel für seine Dichterindividualität in Händen halten. Gustav Falke wurde am 11. Januar 1853 zu Lübeck geboren. Sein Vater war Manufakturist und dessen jüngere Brüder Kunsthistoriker in Wien und Staats* archivar in Dresden, und eine Großtante mütterlicher* seits gab in angesehenen Familien Klavierunterricht und zehrte von der Erinnerung, daß Liszt einmal bei ihr Tee getrunken habe. So wuchs der Knabe in einer geistig angeregten Umgebung auf. Er verlebte eine glückliche Jugend. In knabenhafter Ungebundenheit wurden Haus und Flur durchstreift. Das Gerumpel der schrägen Bodenkammer bot der Phantasie unerschöpflichen Stoff zu kriegerischen Spielen, und der Wald ertönte von ihrem Indianergeschrei, das jäh und schmerzlich ver* stummte, als zwei junge Buchen durch einen kleinen Waldbrand, der aus ihrem Lagerfeuer entstand, ver* nichtet wurden. Leider starb der Vater sehr frühzeitig, so daß der Dichter sich seiner kaum erinnern kann. Die Mutter heiratete zum zweiten Male ; aber der Stief* vater scheint den Kindern erster Ehe wenig Verständnis entgegengebracht zu haben. Falke mußte, obgleich er ein guter Schüler war, aus der Obertertia des Realgym* nasiums abgehen und sich dem Buchhandel zuwenden, hätte aber viel lieber Philosophie, schöne Wissenschaften oder auch Musik studiert. Als Buchhandlungsgehilfe kam er weit in Deutschland herum, und er war in Lü* beck, Essen, Hildburghausen und Stuttgart tätig. Als aber die Mutter, die in einem Jahr ihren ältesten Sohn und ihre drei Töchter im blühenden Alter verloren hatte, nach Hamburg übersiedelte, zog Falke zu ihr und wagte den kühnen Schritt, einen Beruf aufzugeben, den er ohne innere Nötigung ergriffen hatte. Er wurde 1877 Musiklehrer, gab Klavierunterricht, anfangs die Stunde zu fünfzig Pfennigen und bildete sich bei Emil Krause in seinem Fache weiter aus. Es waren Jahre voller Mühsal und Sorge; aber er blieb ungebeugt, da er ein Leben führen konnte, das ihn mit der Kunst in enge Fühlung brachte. Und als Musiklehrer er* wachte langsam in ihm der Trieb zu dichten. In seiner autobiographischen Skizze erzählt Falke darüber folgen»* des: Das Versemachen hatte seit der Schulzeit so gut wie ganz geruht, abgesehen von einigen Gelegenheits* und Kneipgedichten. Auch jetzt waren es wieder ein paar Gelegenheitsverse, die einen Freund mein Talent bewun^ dern ließen und den Anstoß gaben zu weiteren Reime** reien. Ich schickte ein paar Gedichte an Otto von Leix** ner, der zwei davon abdruckte und mir mein Talent beglaubigte. Dieser Stolz! Ich war schon verheiratet, und meine Frau beteiligte sich an dem Stolz. Da fielen mir gleichzeitig die Deutsche Dichtung von Franzos und die Gesellschaft in die Hände. Durch die Gesellschaft lernte ich zuerst Liliencrons Mergelgrube kennen und einen Aufsatz, wenn ich nicht irre, von Iven Kruse, über den Dichter. Mein erster Weg war in die Buchhand:* lung, mir die Adjutantenritte und die Gedichte zu kaufen; sie waren wie eine Offenbarung für mich. So hatte in früheren Jahren Goethes Lyrik zuerst auf mich eingewirkt. Zu Heine, das will ich hier einschalten, habe ich nie ein rechtes Verhältnis gehabt. Ich hatte inzwischen auch an Franzos zwei Gedichte geschickt: Strandidyll und Gang durchs Fischerdörfchen. Da kam ein Brief aus München. Aus München? Von wem mag der sein? Detlev Freiherr von Liliencronl Und ein Lob meiner beiden Gedichte in der Deutschen Dichtung! Und die Mitteilung, daß der alte Oberst von Redern den Gang durchs Fischerdörfchen herrlich und mit größtem Beifall in einem literarischen Kreise vorgelesen hätte! — Seit jenem Brief bin ich Lyriker mit etwas Selbstvertrauen. Und wie viele Briefe wechselten seit** dem zwischen Liliencron und mir; sie füllen einen ar** tigen Koffer. Ist nun auch Otto von Leixner der, der mein Talent zuerst anerkannte, so darf ich doch wohl Liliencron mit gutem Recht meinen Entdecker nennen, der mich auf den rechten Weg wies, mein Führer, Lehrer, und Freundl wurde," der Fünfzigjährige dem Vierzig** jährigen. 8 Sehr spät ist Falke also Dichter geworden; das erste Ehrenreis grünte ihm, als er schon verheiratet war. In seinem ersten Gedicht an Liliencron stehen die Verse : Wenige Tage noch und auch in meiner kleinen Klause leuchtet solch ein lichtgeschmücktes Bäumchen mir zum ersten frohen Christfest an dem eignen Herd. Wie köstlich! Geschrieben wurde es, um Liliencron für die innere Befreiung zu danken, die er in ihm bewirkt hatte; den äußeren Anlaß dazu gab die Überreichung des Heides^ gängers, des neuesten Gedichtbandes seines neuen Freundes, der 1890 erschienen war. Es heißt darüber: Und da war er selbst in seinem gelben Kleide, kam mit einem gelben Zettelchen, auf welchem zier geschrieben: „Mit ergebenster Empfehlung vom Verleger überreicht". Schon hatt am Abend fröhlich ich für ihn das Portemonnaie gezogen und mit einem Federmesser alsogleich ihn untersucht nach wahren, echten Dichtergaben. Zwei edle Gänger stehen nun im Stall mir, Bücherstall: so nenn ich meinen kleinen gelben Schrank. Ein st war es Mutters Wäscheschrank. Jetzt stehen drin in Reih und Glied geordnet (Schöne Ordnung!) groß und kleine und berühmt und unberühmte deutsche Dichter, die ja, wie bekannt, nur schreiben tapfer fleißig für ihr Volk, auf daß es schmunzelnd sie und stolz als höchste nationale Güter in den Schrank stellt! Aber Freund, sei ohne Sorge, eins von deinen Heidegängerbüchern mag drin neben Goethe, Schiller, Platen, Lenau, Reuter, neben Bibel und Fürst Bismarck Ruhe pflegen, von dem Schreibtisch kommt mir nicht das andre eher, bis ich Vers für Vers zu eigen mir gemacht hab. Kommst du, wie du ja versprochen, gleich nach Neujahr auf die Bude mir, so will für alles Schöne, das seit letztem Sommer ich dir danke, herzlich beide Hände ich dir drücken. Im Jahre 1892 erschien dann Falkes erste Gedicht^ Sammlung : Mynheer der Tod und auch schon der erste Roman: Aus dem Durchschnitt. In rascher Folge kamen die Gedichtbände: 1893 Tanz und Andacht, 1894 Zwischen zwei Nächten, dann langsamer folgend: 1897 Neue Fahrt, 1899 Mit dem Leben, 1902 Hohe Sommertage und 1907 Frohe Fracht, dazwischen enU standen Erzählungen und Märchen und in größeren Abständen die Romane: 1895 Landen und Stranden, 1899 Der Mann im Nebel und 1908 Die Kinder aus Ohlsens Gang. Aber die äußeren Verhältnisse blieben auf Jahre hinaus dürftig; ein Lyriker bringt es bei uns eben nicht zum Seidespinnen. Geduldig mußte er die Last des Stundengebens weiterschleppen, hatte sich die Familie doch bald um ein Töchterchen vermehrt. Doch trotz unermüdlichen Schaffens sieht Falke die Not lauernd im Hintergrunde stehen und sorgenvoll spricht er: Knarrt die Stiege? Schritt vor Schritt schlürfend, schleifend kommt es nah. Kenne dich am Tapp und Tritt, Sorge, bist du wieder da? Ärgert dich mein Wohlergehn, dieser ganz bescheidne Glanz? Kannst du niemand fröhlich sehn? Zerrst und zaust an jedem Kranz? Gönn mir doch das wenige Gut, das ein harter Fleiß beschert, lösch des Friedens sanfte Glut neidisch nicht auf meinem Herd. Und die Wiege dort, davor Mutterangst Gebete spricht, Liebe lauscht mit wachem Ohr, all mein Glück, o stör es nicht. Aber sie läßt sich nicht immer verscheuchen! Da drängen sich ihm bittere Gedanken über die Lippen. 10 die Leier wegzuwerfen, da Lieder nicht begehrt werden, und lieber zu Spaten und Hammer oder gar zu Bier und Skat zu greifen, und das drohende Gespenst eines Dichters steigt vor ihm auf, der von Neid und Not gehetzt im Narrenturm endlich sichere Herberge findet. Denn auch die Kritik schüttete ihm manchen Wermut** tropfen in den Lebensbecher. Noch brannte der Kampf um die neue Dichtung in heller Glut; die Dichter alter überlieferter Formen und Gefühle suchten das Neue in den Staub zu ziehen, und die zünftige Ästhetik war unfähig, dem Publikum die Augen für das werdende Schöne zu öffnen. Aber der Dichter überwand alle Bitterkeiten des Lebens, wie die Sonne die dichten Morgennebel zerstreut; denn ihm war etwas Köstliches in die Wiege gelegt worden, das ihm nur der Tod rauben kann: ein heimliches Lachen, eine stille Freude und ein wunderliches Hoffen auf irgend etwas, was da noch kommen muß. Und mit diesen drei Weggesellen wandert sichs gut, erträgt er den Lärm und die Unrast des großstädtischen Lebens, harrt er aus zwischen den hohen Steinmauern. Und droht auch seiner Muse Gq" fahr, bleichsüchtig zu werden, er kann ihr nicht helfen, er muß in der stickigen Stadtluft aushalten, da er nur hier das tägliche Brot für sich und seine Familie findet. Ja, wenn er Gold hätte oder das große Los gewönne, dann wüßte er, was er täte. Denn drinnen in ihm lebt ganz heimlich eine starke Sehnsucht nach Wiesengrün und Luft und Sonne. Endlich zu seinem fünfzigsten Geburtstag lachte ihm das Glück, das ihm bisher so beharrlich den Rücken gekehrt und nach dem er so beharrlich ausgespäht hatte. Selig, wenn beim Hahnenschrei Glück den Morgengruß bereitet, . und wen durch den goldnen Tag seine weiche Hand geleitet. Der hamburgische Staat gewährte Falke eine jährliche Ehrengabe von 3000 Mark. Nun konnte er den 11 Stundenfron abschütteln, und er kaufte sich in Großes borstel an, abseits, von Wiesen umgeben, durch die eilig ein Wässerlein zieht, und vor sich ein kleines Wäldchen, das im Frühling weiß und gelb von Osterblumen und Scharbockskraut blüht. Hier weckt ihn morgens der Ruf des Kuckucks, schläfert ihn abends ferner Frosch^ gesang ein und tönt durch die milde Dämmerung das langgezogene Flöten der Nachtigall. Hier erfreut er sich eines Gartens, und er kann im Grünen sitzen und kann seine Rosen pflegen. Jahrelang sehnten wir uns einen Garten unser zu nennen, darin eine kühle Laube steht und rote Rosen brennen. Nun steht das Gärtchen im ersten Grün, die Laube in dichten Reben, und die erste Rose will uns all ihre Schönheit geben. Wie sind nun deine Wangen so blaß und so müde deine Hände, wenn ich nun aus den Rosen dir ein rotes Kränzlein bände und setzte sie auf dein schwarzes Haar, wie sollt ich es ertragen, wenn unter den leuchtenden Rosen hervor zwei stille Augen klagen. Spät ist|das Glück gekommen, aber nicht zu spät. Sicherer Besitz im ländlichen Frieden hat die stillen Augen wieder leuchten lassen und die Herzen ;von quälenden Sorgen freigemacht. Und hat auch die glühende Sonne des Sommers für Falke ausgestrahlt, so scheint sie doch warm und hell wie an schönen Herbsttagen und wird noch manche schöne Frucht vom Baume seines Lebens lösen. 12 Um was Falke in seinen frühen Dichterjahren gebetet hat, es ist ihm geworden : ein Leben bescheiden an äußerer Glanzentfaltung, aber reich an innerem Erleben. Not und Fülle, Neid und Liebe, Schmerz und Freude, Mißachtung und Erfolg haben ihn begleitet Schritt für Schritt. Doch haben die Widerstände des Lebens ihn nicht verbittern, seine fröhliche, aufwärtstreibende Kraft nicht brechen können, wenn er auch manchmal zornig aufschrie: Und ihr schlugt ihn und kreuzigtet ihn mit Hunger und lachtet: Seht welch ein NarrI Peitschen will ich euch bis ihr im Staub heult. Aber bald lächelt er wieder über die heftigen Dro*« hungen; er erkennt, daß Stumpfheit, Neid und Hohn zu den Lebensinstinkten des großen Haufens gehören und sieht in ihnen nur notwendige Hemmungen, be*» stimmt, aus seiner Seele Funken zu schlagen, und er dankt ihnen aus aufrichtigem Herzen: Ihr Hochmütigen euch mehr Dünkenden ihr Pharisäer, wie vieles danke ich euch. Nicht vielleicht alles? In dem sichern Gefühl, daß er aus allen Anfeindungen nur sich getreuer und in sich gefesteter hervorgeht und nichts seiner Flugkraft in goldene Femen Fesseln an»« legen kann, wächst er immer voller ins Leben hinein. Er hört seine verborgenen Quellen immer vemehm* lieber rauschen und fängt ihre reinsten Strahlen auf und gibt sie als stärkenden Trunk zurück. Denn seine Sinne sind auf das Unvergängliche, zur Sonne Drängende im Menschen gerichtet, daß es nicht von den Begierden des Tags verschlungen werde, und er verschließt den Zeitforderungen, den lauten Stimmen des Marktes die 13 Ohren und will nichts von Liedern wissen, die zum rasselnden Kalbfell gesungen werden. Ich suche mir das Wasser, dessen meine Seele bedarf, den Quell, in den kein Hasser, kein Neidling Steine warf. Und meine Eimer steigen hinab, herauf in Ruh, die Tiefe wird mein Eigen, Leben fließt Leben zu. Und es ist ein reiches Leben, das Falke gelebt hat; geht es auch nicht in die Breite, so doch in die Tiefe. Er kann ohne Furcht über ein vertändeltes Dasein des Lebens Kreis sich runden sehen; er hat erfüllt, was er erfüllen sollte. Es war freilich ein langer Weg, den er gehen mußte. Führte er auch nicht durch tiefe Niede*» rungen , so doch viele Jahre auf gleicher Ebene dahin, bis endlich der Aufstieg in jene Höhen begann, auf denen der Dichter mit dem König wandelt. Aber auch hier bleibt er, was er ist, der stolz:«bescheidene Poet, und mit einer Demut, die nur an Chamisso gemessen werden kann, zieht er vor das Himmelstor zu Fuß ohne Flügel und Kranz: „Und kommst zu Fuß hier an? Wo hast du deine Flügel hingetan?" Ich schämte mich, weil sie so sehr beschmutzt, und ihre schönsten Federn arg gestutzt, weil durch das Fliegen nach dem Flitterkranz des Menschenruhmes dunkel ward ihr Glanz. „Und deinen Kranz?" Ich hab ihn abgelegt, daß man mit andern ihn zum Kehricht fegt, und komm nun nackt und ohne Glorienschein. Da sprach der Pförtner gütig: „Komm tritt ein". j^ Die Liebe ist die stärkste Saite, die in Falke tönt; sie ist die Grundkraft seines Wesens, die sein ganzes Fühlen und Denken durchleuchtet und ihm Glut und Farbe 14 gibt, und er sieht den Haß, den herrlichen nackten Haß durch eine tiefe Gramfalte zwischen den schwarzen Brauen entstellt, weil er nicht lieben darf. Sie hat ein Natura» gefühl von seltener Tiefe und Innigkeit in ihm geweckt. Es ist nicht die alte Vergöttlichung der Natur, die hinter allen Erscheinungen und Vorgängen übermenschliche Gewalten stehen sieht und ihr weites Reich mit zahl^s losen feindlichen und freundlichen Wesen bevölkert, wie sie im Märchen noch fortleben und noch Schiller zu dem wehmütig jauchzenden Dithyrambos auf die Götter Griechenlands begeistert haben; es ist nicht das pantheistische Gefühl, das der junge Goethe mit der vollen Leidenschaft seines Herzens verkündigte, das berauschende Gefühl der ahnenden Erkenntnis, daß dies» selbe Gesetzmäßigkeit alle Wesen: Mensch, Tier und Pflanze, beherrsche, und das darum auch den geringsten Wurm mit inniger Bruderliebe ans Herz drücken möchte ; es ist auch nicht das Naturgefühl, das in den Dingen und Erscheinungen Symbole für die Vorgänge des menschlichen Lebens erblickt und das dem Volkslied eigen ist — es ist ein neues innerlicheres Gefühl, wie es auch in Böcklin lebendig gewesen ist. Was imVolks* lied und auch bei Heine nur dichterische Einkleidung ist, nur genommen, um der flüchtigen poetischen Stim** mung ein Gewand von zarter Anmut zu geben, ist bei Böcklin der natürliche Ausdruck seiner Naturempfin* düng, und Naturvorgang und Symbol bilden darum eine völlige Einheit, weil sich jener gar nicht anders sinnlich darstellen läßt. In der weltabgeschiedenen, dämmernden Einsamkeit des Waldes regt sich im NIqu^ §chen ein Gefühl, in dem die bald gespannten, bald ge^ lösten Sinne ein Etwas, ein nur unklar Geahntes für gegenwärtig halten, das bei jedem Schritt vor ihnen auftauchen kann, und Böcklin verkörpert es durch das Einhorn, das mit rätselhaft mystischen Augen langen unhörbaren Schrittes zwischen den grünen Baumsäulen dahinschreitet und auf seinem Rücken die Waldköni;« gin trägt, die regungslos geradeaus sieht. Falke ist nun 15 Böcklin nicht darin verwandt, daß er in der Regeninsel ein literarisches Seitenstück zu dem Spiel der Wellen geschaffen hat, sondern daß in ihm dasselbe Naturgefühl lebt, sich in ihm aber eigenartig ausgeprägt hat. In seinen ersten Naturliedern suchen wir es freilich ver^ geblich; denn Falke ist vom Poetisch^Malerischen aus«= gegangen. Der Gang durchs Fischerdörfchen ist ein scharf umrissenes Gemälde, das ein Maler ohne großen Aufwand an Phantasie in seine Technik umschreiben könnte; die Empfindung des Dichters bricht nur spar* lieh in der objektiven Wiedergabe durch, besonders da, wo er von dem Mädchen erzählt, das eine Ziege auf die Weide bringt, und am Schlüsse, wo er eine dunkelrote Rose sich leise im Winde über der Friedhofs* mauer wiegen läßt. Doch die Entwicklung drängt ihn zum Dichterischen, und die Wiedergabe der Außenwelt wird immer stärker von Empfindung beseelt. Den Fort* schritt zeigt Die einsame Kate, die ungefähr fünf Jahre später entstanden ist. Die dürftige, verfallene Hütte steht in voller Plastik vor uns; aber es ist nicht mehr irgendeine alte Kate, die das Auge des Malerpoeten an* gezogen hat, sondern sie ist durch das düstere Kolorit und symbolisch durch die Krähe, die in träger Ruhe auf dem einen morschen Weidenstumpf hockt, zur Stätte des grauen Elends geworden, das den Menschen früh* zeitig krumm und kümmerlich macht. Auf diesem Wege ist Falke weiter geschritten, so daß er schließlich die menschliche Seele selber in der Natur findet. In dem Gesang der Muscheln hören wir sie selbst klagen, daß sie ihrer kühlen, wonnevollen Meeresheimat entrissen wurden und nun unter den Menschen, den heißblütigen Kindern der Sonne, leiden müssen, und als der Dichter liebkosend seine Wange an ein junges Birkenstämmchen legt, fühlt er die Seligkeit des Bäumchens, das unter dem weichen Streicheln des Windes in Liebe erbebt. Daneben aber entwickelte sich in Falke die Böcklinsche Art, die Empfindungen, die die Natur in ihm wachgerufen hat, wiederzugeben. Nur greift er nicht in die mytholo* 16 gische Ausstattungskammer und holt die Pane, Ttu tonen und Nixen hervor, sondern er bringt sein Natura gefiihl in freigeschaffenen Phantasiebildem zum Aus* druck. In Sonnenblumen ist diese Naturgestaltung zwar noch Episode: Das war ein dichterlicher Platz, wie nur am Wege hold versteckt ein Sonntagskind ihn einmal entdeckt. Ein Wässerlein lief mit süßem Geschwätz durch eine schattige Wiese hin, sonst war die Stille hier Königin; ihr König, der Frieden, saß auf der Bank und putzte seine Krone blank. Bald aber wird die Landschaft überhaupt nicht mehr geschildert, sie fließt allein aus dem Bild, zu dem sich ihr besonderer Reiz dem Dichter gestaltet. Den jungen Morgen sieht er in nackter menschlicher Schönheit hügelab durchs Feld schreiten, auf der Schulter eine langgestielte Sonnenblume, die in den Himmel wächst, von weißen Schwänen umkreist, und das Erwachen der Erde aus winterlicher Starre verdichtet sich Falke zu dem nächtlichen Ritt eines Knaben auf milchweißem Roß, der durch den Klang seines Homgesanges die harte Erddecke sprengt, daß die schwellende Kraft hervor*= bricht und Veilchen, Krokus und Narzissen aufblühen. Ein feiner erotischer Zug ist Falkes Naturfreude beigesellt. Der tiefbeschattete Parkteich, der verlassen träumt, belebt sich ihm durch ein sonniges Mädchen** lachen, das zu ihm aus schöner Vergangenheit herüber** klingt, und ein Mädchenlachen ist es auch, das die alten Ulmen aus der Mittagsstille aufschreckt, daß ihre Zweige verwirrt rauschen und ein Bläuling wie toll umherzickzackt. Dort, wo es erschallt, da ist es nicht schattendunkel, sondern blitzt und leuchtet es von lauter Licht. Die Mädchen sind der Sonnenschein seines Lebens, so ein liebes, junges Gesicht mit leuch* tenden Augen. 2 17 Herein! Willkommen I Tritt immer ein, gib deine liebe Hand. Du füllst mein Herz mit Sonnenschein und Frühling bis an den Rand. Ihnen kann er nichts übelnehmen, nicht einmal, daß sie seinen Syringenbaum so unverschämt plündern. Die Jungen hat er durch lautes Klopfen ans Fenster ver*= jagt; aber als die Mädchen ihn so spitzbübisch schel* misch anlachen, verfliegt seine Strenge, und er gibt die Flieder allen Mädchen und Jungen frei. Nur braucht ihr das selber nicht grade zu wissen, mein Bäumchen würde mir arg zerrissen. Für seine Töchter hat Falke auch seine Kinderreime gedichtet: das unnachahmliche Rische, rasche, rusche, das ganz Kindersinn und Kinderlust ist, und das platt»* deutsche Lütt Ursel, lütt Snursel, voll kindUcher, neckischer Schelmerei. Ja, er ist ein rechter Mädchen* papal So lieblich wie Musik klingt es ihm in die Ohren, wenn die vier Kinderfüße seiner Töchter durch des Hauses Sonnenschein springen, und er legt gleich seinen wackern Schweizersmann Gottfried zur Seite, wenn die Jüngste ihn am Rock zerrt und ihm das ganze Tierreich auf ein Stück Papier abfordert. Er gibt ihnen alle die Liebe zurück, die er von seiner Mutter empfangen hat. Was selbstlose Mutterliebe ver»* mag, hat Falke in einer Ballade gepriesen. Sie bringt es fertig, in einem Tag drei Morgen Gerste zu schneiden, um ihrem einzigen Sohn das verwirkte Leben zu retten, erliegt aber selbst der ungeheuren Anstrengung. Doch die Kinder sind selbstsüchtiger. Die Jugend will froh* lieh genießen, und sie schHeßt sich vom Alter ab, das nur strenger Pflichterfüllung lebt, und Falke sieht sich wegebreit von seiner Mutter sitzen und ist ihr doch so fern, daß er ihre welke, blasse Hand nicht fassen kann, die sich ihm bittend entgegenstreckt, und weinend wacht er auf. Doch es war nur ein Traum; wachend lacht er dieser Sorge; denn er weiß, er kann ihr nicht 18 fremd werden, ihre feinen Ohren hören auch die un* ausgesprochenen Worte seiner Kindesliebe, und ein Gedicht ist geschaflFen worden, das auch Goethes wundervolles Gleichnis übertrifft, das unter einem Fels, der unerschütterlich im Wildbach liegt, obgleich die Bergwässer ihn oft überbrausen, das Verhältnis zwischen Mutter und Sohn darstellt. Und bedeutugs* voll trägt Zwischen zwei Nächten die Widmung: Zweien sind diese Blätter mit Fug dankbar in die Hände gelegt; der, die mich in Liebe trug, und der, die mich in Liebe erträgt. Was Heine von sich gesungen hat: Mein Herz gleicht ganz dem Meere, hat Sturm und Ebb und Flut und manche schöne Perle in seiner Tiefe ruht, trifft ganz für Falke zu. Er ist keine so einfache Natur, daß das eine beglückende Gefühl seiner Jugend ihm das Herz ausfüllt und er gleichmütig an aller fremden Schönheit vorüberschreiten kann; er ist vielmehr ein ungemein reizsamer Mensch, der allen Einflüssen nachgeben muß. Philister werden geneigt sein, das Schwäche zu nennen, da sie ihrer geistigen Richtung nach nur das Eine, Normale für richtig halten können und vor jeder ab«* weichenden Struktur kopfschüttelnd oder gar ver^s urteilend stehen. Aber es ist weder Schwäche noch Stärke, sondern eben Natur, und zur Schwäche wird es erst, wenn dem leicht erregbaren Gefühl keine geistigen Hemmungen entgegenwirken. Und Falke hat schwere Kämpfe gekämpft, die ihm das Herz blutig rissen. Seine ersten Liebeslieder zeigen freilich anderen Charakter. Sie sind, wie das Strandidyll, meist anek:« dotisch gehalten, indem sich einer landschaftlichen Schilderung die traditionelle Begegnung des Schatzes ein*» fügt, und von jener lauten Lustigkeit, die der Menge so sehr gefällt. Sie lassen erkennen, daß der Dichter seinen eigenen Ton noch nicht gefunden hat. Er findet ihn jedoch, als es ihn drängt, sein Erleben im häuslichen Kreise auszusprechen. Der Besitz gibt aber der Liebe 2* 19 andere Farben als Werben und Hoffen; sie wird ruhiger und gewinnt stärkeren geistigen Einschlag, und die geistige Gemeinschaft des ehelichen Lebens erhält durch Falke Ausdruck von einer Tiefe und Innigkeit, wie wir sie bei keinem andern Dichter antreffen. Er ist tief beglückt, zusammen mit der Lieben, Guten seinen Lebensacker bestellen zu können, und er sieht sich im Traum vor ihr auf den Knieen liegen und ihr die Füße waschen, und kann das Bild nimmer vergessen, das so keusch und rein seine tiefe Liebe zu ihr aus** spricht. Und doch wird es ihm nicht leicht, sich in die engen Grenzen zu finden, wie sie durch Begründung einer Familie gezogen werden, zumal wenn die äußeren Mittel gering sind. Die Furcht beschleicht ihn, daß durch sein Genügen am häuslichen Herd seine Kräfte verkümmern könnten, und ein Schrei um Anteil an den großen Lebenskämpfen entringt sich seiner Brust. Aber ihm steht eine treue Tempelhüterin zur Seite, die ihn versteht, seiner unruhigen Sehnsucht mit stiller Liebe begegnet und seiner Kraft vertraut. Es gelingt ihm, wieder den Gleichtakt zwischen Wunsch und Pflicht zu finden, daß ihm ein Tag, der in Frauenliebe, Brots* erwerb und Dichtertraum verläuft, als ein volles Glück erscheint und er froh ausruft; Schöner Tag, ich hab dich ausgenützt! Da fällt ein versengender Strahl ihn an. In Falke lodert die Liebe, die heiße, begehrende Liebe zu einem jungen Mädchen auf. Ein Jahr ringt er vergeblich, sie niederzukämpfen; sie wird zu mächtig, sie sprengt seine Lippen und bricht in starken Bekennt* nissen hervor: Ja, holde Herrin, fast noch Kind, und schon vom Schicksal ausersehn für einen Thron, so herrlich wie kein König ihn besteigt, nimm hin mein Herz, das sich dir willig neigt, dies reiche Herz, das eine Welt umschließt und heiße Lebensströme in sie gießt, ein Herz, so reich, daß es sich arm nicht gibt, und das sein Alles hingibt, wo es liebt. 20 Aber in das süße Lachen, verführerisch wie die Stim:« men der Sirenen, tönt es ernst und mahnend: Es darf nicht sein! Ich hab ein Weib und liebe Kinder. Und er bezwingt sich und entsagt in Tagen des Elends und schlaflosen Nächten. Langsam ebben die Wogen zu^ rück, er findet den Weg in sein stilles Gartenhaus zu^» rück und gesteht sein Irren: Du weißt, ich hab dich lieb gehabt, und immer gleich an jedem Tag, ob ich ein wenig Glück uns fing, ob still in Sorgen abseits ging. Da kam ein Frühlingssonnenschein und kam ein junger Rosentag, ich stand in lauter Rausch und Traum an eines fremden Gartens Saum. Aus holder Morgenlieblichkeit klang da ein Lied, so süß, so süß, daß ich im Lauschen mich verlor und hatt für deinen Ruf kein Ohr. Doch gab des Gartens Tür nicht nach, ein zweifach Schlößlein lag davor, das hat den Träumer aufgeweckt, ihn auf sich selbst zurückgeschreckt. Er riß sich los und kehrt nun heim und drängt sein Herz an deines hin. Trotz Rausch und Traum, du fühlst, es blieb das alte Herz und hat dich lieb. Wieder leuchtet der stille Abendstem über Falkes Leben, und in seinem milden Glanz legt sich die Uns» rast ganz. Keine Resignation blieb zurück, nichts Halbes auf beiden Seiten; im vollen Vertrauen schlies« ßen sich die Herzen wieder zusammen, und wir sehen sie in reinem Gedenken an die bewegten Tage die letzte Wegstrecke gemeinsam zu Ende wandern. J9 21 Das ureigenste persönliche Leben aber füllt Falkes Dichtung nicht aus; er hat ihre Kreise weiter gezogen. Oft hat er über die Gewalt des Todes nachgesonnen, der das Leben beherrscht und es unerbittlich, aber nicht immer ohne herzlichen Anteil vernichtet. Der durch Holbein seelisch vertiefte mittelalterliche Totentanz, den Rethel und Seitz in ihre Zeit übertragen haben, hat auch Falkes Phantasie befruchtet. Als klapper* dürrer Fiedelmann erscheint der Tod in der Ballade: Die zierliche Geige, und er weiß sein Lied so ganz der Stimmung derer anzupassen, die er holen will, und sich mit solcher Anmut zu bewegen, daß ihm niemand wider:* steht. Nur der Dorfschulze ist für seine zarte Werbung unempfindlich; erst als der Tod die Geige an seinem harten Schädel zerschlägt, stirbt er vor Schreck, und der durch die Bauerndickfelligkeit fast geprellte Tod muß am Grabenrande seine Geige wieder zusammenleimen. Häufig aber erscheint er in einer andern Maskierung. Als freundlicher Hausarzt mit goldener Brille kommt er zur vereinsamten Matrone im schwarzen Seidenkleid, und läßt sie in lieber Familienerinnerung sanft ein^s schlafen. Doch so gutmütig ist der Tod nicht immer; jäh und grausam packt er zu und holt ohne Unterschied jung und alt. Als Kutscher treibt er die scheu gewor# denen Pferde an, daß die Karosse mit der alten Exzellenz und der jungen Komtesse, die einer kaum erblühten weißen Rosenknospe gleicht, am Wege zerschellt; als triefender Meergott springt er mit den weißen, wie unzählige Raubtieraugen funkelnden Wellen ins Dorf, daß es mit Mann und Maus ersäuft. Denn der Mensch ist nichts, nur ein Dreck, ein Wurm vor der Gewalt des Todes. Ein Wink, und die schönste Frau sinkt inmitten des rauschenden Gartenfestes mit entblättertem Kranz zu Boden, ein Hieb, und der Geier, der in grauser Symbolik seinen Schnabel an der blutigen Sense des Todes gewetzt hat, stürzt aus der Wolkenhöhe herab. Doch auch der Tod greift fehl und muß zurückweichen. Der vorsichtige Sperling entrinnt dem harten Griff des 22 katzengierig nach ihm springenden Todes, und die un«» gebrochene Jugendkraft reitet auf knorriger Eiche durch die tobende See an den sichern Strand, als des Todes Knochenfaust das Schiff auf der Sandbank zerstampft hat. So wachsen sich Falkes Bilder des Todes zu einer tiefgreifenden Darstellung des Kampfes zwischen Leben und Tod aus. Die Großstadt ist für Falkes Lyrik unfruchtbar ge*« blieben. Trotzdem er über zwanzig Jahr in ihrem steinernen Meere gelebt hat, finden wir nur in Myn* heer der Tod einzelne Gedichte, die großstädtisches Leben widerspiegeln; aber sie sind ohne besondere Kraft und Eigenart. Die besten seiner kleinen Er** Zählungen sind auf dem Dorf zu Haus, und nur seine Romane gehören der Großstadt an. Zwar hat der Roman, der Falke zuerst als Erzähler bekannt gemacht hat. Der Mann im Nebel als äußeren Rahmen ländliche Verhältnisse: Dorf, Schloß und Meer, aber die Haupt»« person Dr. Randers ist durchaus Großstadtprodukt, einer jener haltlosen Höhenmenschen, die aus ihr zer*! rüttete Nerven und ein überfeinertes Gefühl, das alle Lebensverhältnisse nur ästhetisch würdigen kann, da^ vongetragen haben. Er lechzt darum nach Natur und hofft in ihr Gesundung zu finden. Aber Weib und Kunst lassen ihn trotz aller ehrlichen Panschwärmerei nicht los, und er findet nicht die Kraft, seine Energie zusammenzuraffen und sein Leben auf der sichern Basis reiner, starker Frauenliebe aufzubauen. Er muß sich weiter aufreiben als einsamer, immer neu anknüpfender Glückssucher, bis er endlich seinem Leben durch einen Pistolenschuß in den Watten ein Ende macht. Ein starker lyrischer Einschlag zeichnet den Roman aus; denn Falke hat aus dem eigenen und dem Leben eines Freundes geschöpft. Aber er hat es nicht photographisch getreu wiedergegeben, sondern es in jene ideale Sphäre gehoben, aus der die Kraft zu neuen Impulsen strömt. Die andern Romane sind durchaus realistisch gehalten. Aus dem Durchschnitt spielt nicht nur in diesem 23 Stadtteil, sondern bezeichnet auch die Menschen, von denen er erzählt; es sind Alltagsnaturen, wenn auch durchs» weg in behäbigen Verhältnissen. Aber noch ist das Leben nicht rein gestaltet, noch erkennt man die Absicht zu verurteilen und zu preisen, noch ist das Seelische nicht voll entwickelt und noch das sprachliche Gewand nicht ohne Engen und Weiten. Doch in den Kindern aus Ohlsens Gang ist die künstlerische Höhe der Erzählung erreicht. Das Leben dieser Leute, die den harten Kampf um des Lebens Notdurft kämpfen, ist ohne Schöns» färberei dargestellt, daß sie in vollem Licht und Schatten stehen und sich rund voneinander abheben. Wir fühlen die herzliche Teilnahme des Dichters an diesen Stiefs* kindern des Lebens und lernen sie in ihren Leiden und Freuden, ihrer Tüchtigkeit und ihren Schwächen be= greifen. Aber der Roman ist im Individuellen stecken geblieben. Zwar wetterleuchtet es von der sozialen Gä^ rung der arbeitenden Klassen, aber es fehlt der ener^« gische Willen, aus der Tiefe durch eigene Kraft auf«» zusteigen; denn die Volkswohlfahrtsbestrebungen, wie sie von sozial empfindenden Privatleuten ins Leben ge^ rufen worden sind, können nur individuelle und nicht generelle Linderung schaffen. Und deshalb bringen die Kinder aus Ohlsens Gang nur Gegenwart und keine Zukunft. Auch die Tiere, die das häusliche Leben geselliger machen und mancherlei Nutzen gewähren, hat Falke in den Rahmen seiner Darstellung gezogen. Er hat unter ihnen seine besonderen Freunde. Es sind nicht die Tiere der großen Herren: die Hunde aller Art, die Pferde und Kühe, sondern die Hof»» und Hausgenossen des kleinen Mannes : die Hühner und die Katzen. Zwar hat er auch, angeregt durch Speckters Vogelbilder, Gänse, Störche und Raben besungen und das Gänse«« geschnatter durch die Nachahmung eines alten Volks^ reims aufs glücklichste rhythmisiert; aber seine ganze Liebe haben sie nicht erlangt. Ihre Darstellung hat beim Anekdotischen und Vermenschlichen Halt gemacht, wie 24 es in Kindergedichten alther gebracht ist. Bei den Hüh«» nern jedoch geht ihm das Herz auf; denn er hat selbst einen Hühnerhof. Wie hoch die Erwartungen gehen, wenn man sich zum erstenmal mit Hühnerzucht befaßt, und wie unangenehm sie durch ungeahnte Schwierigs« keiten enttäuscht werden, bis endlich das richtige Maß gewonnen wird, hat Falke in Potts und ihren Hühnern mit viel Behagen erzählt. Er hat die Hühner liebevoll beobachtet, und so gelingt es ihm, ihr gespreiztes Wesen und ihre laute Zanksucht schlicht und launig zum Aus*« druck zu bringen. — Die Katze ist bereits durch die Romantiker in die Literatur gekommen und hat in Kater Murr gleich eine unvergängliche Ausprägung er* halten. Sie ist dann freilich von dieser stolzen Höhe herabgesunken, und Scheffels Kater Hiddigeigei, der im Trompeter von Säckingen so hoheitsvolle Worte spricht, ist nur noch Maske. Falke kennt aber den leisen geschmeidigen Gesellen gleich Speckter und dem Schweiz zer Katzenraphael Gottfried Mind. Im dummen Kätz:* chen hat er die behende Tapsigkeit des fliegenfangenden Kätzchens mit köstlicher Laune verspottet, in der Schlitten^» fahrt erhält das bekannte Spielen der Katze mit der Maus poetischen Ausdruck, wenn auch mit bewußter An* lehnung an menschliche Verhältnisse, und die Neu* dichtung des französischen Volksmärchens vom ge* stiefelten Kater im Anschluß an die Speckterschen Bil* der ist ein würdiges Seitenstück zu Hoffmanns Kater Murr, insofern es Hinzes Natur unverfälscht ent* wickelt und ihn nicht stärker vermenschlicht, als es die Handlung erfordert. An Lebensgehalt steht es ihm freilich nach, wie das Kindermärchen dem Roman; aber das Epos erfreut durch die reiche Kleinmalerei, mit welcher die Dinge vor unsere Augen gestellt werden, durch die naive Ausmalung der Personen und durch die leichte Anmut der freien Hexameter. In Maleen ist jedoch der Kater Putzi, wie es einem Verwand* lungsmärchen natürlich ist, nur Hülle; es ist ja auch kein Tiermärchen, sondern eine Novelle, die uns das 25 Erwachen der jungfräulichen Liebe mit aller Süße und aller Qual in märchenhafter Deutlichkeit empfinden läßt. Doch das Was macht den Wert einer Dichtung nicht aus; es läßt mehr den Menschen als den Künstler er# kennen. Und deshalb muß das Wie, muß auch die Form erkannt werden. Sie ist jedoch nichts Äußerliches, an den Stoff Herangetragenes, nicht übergezogenes Ge^ wand, sondern baut sich von innen nach außen, wächst aus dem Inhalt mit elementarer Gewalt hervor. Ur* plötzlich steht ein Teil der Dichtung da, fertig in Si** tuation und Empfindung, in Wort und Klang, und die:« sen Torso gilt es, nach den in ihm liegenden Maßen mit feiner Künstlerhand zu vollenden. Aus den Tiefen des Unbewußten steigt also die Dichtung herauf und gibt das intimste persönliche Erleben wieder, und diese ureigene persönliche Note ist es, was wir Form nennen. Sie ist der geheimnisvolle Schlüssel, der das Herz des Lesers öffnet, daß die Dichtung von ihm Besitz er* greifen kann. Doch läßt sich die Form leichter emp* finden als klarlegen, da sie aus Sinnlichem und Gei:* stigem vielfach zusammengesetzt ist und Worte immer wieder auseinanderreißen, was notwendig zusammen* gehört. Am leichtesten wird es durch Beispiel und Gegenbeispiel möglich sein, in ihr Verständnis ein* zuführen, öffnen sich dann auch nicht alle Register von Falkes reichem Können, so werden die wenigen um so vernehmlicher tönen. Für eine Anthologie hat ein — sagen wir ungenannter— Dichter folgendes Gedicht selbst ausgewählt: Auf den Höhen tiefes Schweigen, in den Wipfeln leises Neigen, eine Lerche trillert nur . . . Heilige Andacht der Natur. Aus der Stadt, um die im Grauen noch die fahlen Nebel brauen, 26 dringt in ungestümem Chor schrill und rauh Geräusch hervor. Lärme, dröhne, schmettre, schmiede 1 In der Arbeit liegt dein Friede. Dampfgezisch und Hammerschlag — sie auch grüßen fromm den Tag. In drei Strophen, die nicht ohne Eindruck bleiben, wird der das Herz bezwingende Friede der Natur der Hast und Arbeit der Industriestadt gegenübergestellt. Aber liest man genauer, so erregt das Gedicht wachs* sendes Unbehagen. Die singende Lerche gehört in die Saatfelder, nicht in den Bergwald, die im Tale liegende Stadt gibt keine Anschauung, die Arbeits»« geräusche können nur gedämpft auf den Höhen vers* nommen werden. Der Ausdruck ist ohne persönliche Note, und die Worte zeichnen zu allgemein und verraten Reimnot. Das Gedicht ist eben nicht empfunden, sondern gedacht worden, und die Befriedigung, die es gewährt, ist intellektueller Art, indem der Schlußgedanke, trotzdem er nicht rein herauskommt, dem modernen Menschen zusagt. Falke hat eine ähnliche Situation gestaltet: Weit hinten liegt die große Stadt, die graue Stadt in Dunst und Rauch. Hier spielt im Licht das grüne Blatt und schaukelt sich im Morgenhauch. Hier ist das Leben hold verstummt, träumt lieblich in sich selbst hinein, nur eine frühe Biene summt näschig um süße Becherlein. Und manchmal ein verwehter Laut, wie fernen Meeres Wogenschlag. Was dort um Mauern braust und braut, Herr, führs zu einem klaren Tag! 27 Wir spüren keinen gewollten Gegensatz, sondern ein Stück Erleben ist mit tiefer Empfindung ausgesprochen. Der Dichter geht durch die stillen grünen Redder, empfindet den schönen Sommermorgen in voller Lieb:» lichkeit und verliert sich in träumende Betrachtung seines Kleinlebens; ab und zu läßt ihn ein Hecktor den Dunstkreis der fernen großen Stadt sehen und trägt ihm der laue Wind abgerissene Klänge ihrer Un^ rast zu, und ihm drängt sich der Wunsch über die Lippen, daß das Leben auch dort zur Klarheit kommen möge. Situation und Gedanke, Wort und Empfindung, Klang und Versschritt fließen eins aus dem andern her^» vor; wir finden nichts Unklares, nichts Schiefes und schauen mit dem Dichter und empfinden mit ihm die Schönheit des stillen Erdenwinkels im Bannkreise der ruhelosen Großstadt. Es ist holsteinische Landschaft, und Falke liebt sie, die weiten Wiesenflächen von hohen Knicks durch«» zogen, die braune Heide mit den weißen Birken und die dunklen Moorlöcher voll Ried und Rohr. Und in ihr ist er festgewurzelt, aus ihr saugt er seine Kraft, und er vergleicht sich einem Baume, der heimatlichen Erde entsprossen. Nicht ist es die stolze Eiche, die mäch»« tig und weitausgreifend allen Wettern trotzt, nicht die schlanke Buche, die gesellig ihre Krone zu schattigen Domen wölbt, sondern die zierliche Birke, die sich hell leuchtend erhebt und sich auf kargem Boden mit zäher Kraft behauptet, indes ihr feines Geäst im leisesten Hauche des Windes erbebt. Groß^^Borstel, im April 1911 Der Herausgeber 28 :^UNRUHIG STEHT DIE SEHNSUCHT AUF.« EINE AUSWAHL AUS DEN WERKEN VON GUSTAV FALKE INHALT GEDICHTE Die feinen Ohren 35 Ein Tageslauf 33 Aus dem Takt 34 Vor Schlafengehen 34 Go Nach 35 Tagesanbruch 35 Der Morgenfrohe 36 Begegnung 36 Gesang der Muscheln 37 Ein Gang durchs Fischerdörfchen 38 Das Birkenbäumchen 41 Der Liebende 42 Parkszene 42 Ein Mädchenlachen 44 Die Regeninsel 45 Singe Mädchen 47 Hinterm Deich 47 Mancherlei Nutzen 48 Das mitleidige Mädel 48 Die Sorglichen 49 Kinderreim 49 Lütt Ursel 50 De Snurkers 50 Das dumme Kätzchen 51 Gänsegeschnatter 52 Was haben denn wir Schneider 52 Die zierliche Geige 54 Der Ritter 56 Helden 58 Die beiden Spieler 58 Die treue Schwester 59 30 Die Brüder 60 Die Schnitterin 61 Die Equipage Einsamer Tod 62 65 Sturm 65 De Stormfloth 67 Einsame Kate 67 Kurzes Gewitter 69 Der Frühlingsreiter Großes Scheuerfest 69 70 Nächtliche Heide 70 Was war es? 71 Die Falte 72 Der Baum 73 Fritz Stavenhagen Gebet 74 74 Wenn ich sterbe 74 Was will ich mehr! 75 Wir zwei 75 Schuld 76 Ausbeute 76 Tag^ und Nachtgleiche 76 DER GESTIEFELTE KATER (Neunter Gesang) 77 GEDICHTE IN PROSA Der Sandweg 86 Der Überfall 87 Das Familienalbum 88 Die Villa 90 MALEEN (Ein Märchen aus „Muckimacks Reich") 93 DIE FAHRT NACH ROSS (Viertes und fünftes Kapitel der „Kinder aus Ohlsens Gang") 128 31 DIE FEINEN OHREN (Meiner Mutter) Du warst allein, ich sah durchs Schlüsselloch den matten Schein der späten Lampe noch. Was stand ich nur und trat nicht ein? Und brannte doch, und war mir doch, es müßte sein, daß ich noch einmal deine Stirne strich und zärtlich flüsterte: Wie lieb ich dich. Die alte böse Scheu dir ganz mein Herz zu zeigen, sie quält mich immer neu. Nun lieg ich durch die lange Nacht und horche in das Schweigen, ob wohl ein weißes Haupt noch wacht. Und einmal hab ich leis gelacht: Was sorgst du noch, sie weiß es doch, sie hat gar feine Ohren, ihr geht von deines Herzens Schlag, obwohl die Lippe schweigen mag, auch nicht ein leiser Ton verloren. EIN TAGESLAUF Sitz ich sinnend, Haupt in Hand gestützt: Schöner Tag, hab ich dich recht genützt? Einen Kuß auf meines Weibes Mund Liebesgruß in früher Morgenstund. Sorg ums Brot in treuer Tätigkeit, offnes Wort in scharfem Männerstreit. 33 Einen guten Becher froh geleert, kräftig einem argen Wunsch gewehrt. Leuchtend kommt aus ewigem Sternenraum noch zuletzt ein seliger Dichtertraum. Sinnend sitz ich, Haupt in Hand gestützt: Schöner Tag, ich hab dich ausgenützt. AUS DEM TAKT Mein Weib und all mein holder Kreis, mein Kind und all mein lachend Glück. Ich rühre an die Saite leis, wie hell klingt es zurück. Nur manchmal, wenn von ferne ich die großen Ströme rauschen höre, wenn sich der vollem Lebenschöre ein Ton in meine Stille schlich, schrei laut ich auf und hebe Klag: Mehr Licht, mehr Licht, nur einen Tagl Und blutend leg ich, abgewandt, mein Herz in eure Liebeshand, bis es von aller Angst entbunden und wieder seinen Takt gefunden, den Gleichtakt zwischen Wunsch und Pflicht. Herddämmerglück, Herddämmerlicht. VOR SCHLAFENGEHEN Die Kinder schlummern in den Kissen, weich, weichen Atems, nebenan, ein Traum vom heutigen Tag, und wissen nicht, was mit diesem Tag verrann. Wir aber fühlten jede Stunde, Die uns mit leisem Flügel streift, und wissen, daß im Dämmergrunde der Zeit uns schon die letzte reift. 34 Wir sitzen enggeschmiegt im Dunkeln. So träumt sichs gut. Und keines spricht. Durchs Fenster fällt ein Sternenfunkeln, vom Ofen her ein Streifchen Licht. Einmal, im Schlaf, lacht eins der Kleinen ganz leis. Was es wohl haben mag? Springt es mit seinen kurzen Beinen noch einmal fröhlich durch den Tag? Ein Mäuschen knabbert wo am Schrägen, knisternd verkohlt ein letztes Scheit, die alte Uhr hebt an zu schlagen — da sprichst du leis: Komm, es ist Zeit. GO NACH Go Nach, giv mi noch mol de Hand, de is so warm un week; dörcht Finster schient de helle Man uns up de witte Deek. Dit is n Stunn, eer noch de Slap uns inlullt sach un söt, wo ut n reine Minschenbost de schönsten Blomen blöht. Min Hart is as en Sommerbeet, un di, di blöht dit Flach. Giv mi noch mol din warme Hand un du versteist mi sach. TAGESANBRUCH Wie leise sich der Morgen regt, gleich einem Lächeln, das sich traumhaft hinbewegt um halb geschlossner Lider Rund und einen schlummertrunknen Mund, 35 der eine ungeduldige Welt nur hinter leichtem Riegel hält. Bald wird die rote Pforte klingen, und was sich innen stößt und zwängt, sehnsüchtig nach dem goldnen Tage drängt, mit einem Freudenschrei ins Weite springen. DER MORGENFROHE Wie köstlich ist der Morgenhauch, wenn noch an jedem Busch und Strauch die schönsten Perlen sitzen und alle Gräser blitzen. Da atmest du aus tiefer Brust, so recht in Lust und Überlust den Tag ans Herz zu schließen und ganz ihn zu genießen. Noch ist die Welt so klar und rein, als müßten lauter Freuden sein, und dürftest alle hoflfen, und jede war dir offen. Und hast so einen frischen Mut, daß Gott dir deinen Willen tut, trägst du nur frech Verlangen und läßt dich gar nichts bangen. Da ist denn auch die rechte Zeit in aller Morgenfröhlichkeit und Kraft ein Lied zu singen. Stimm an, es wird schon klingen 1 BEGEGNUNG Ich ging im Feld. Die Drossel schlug. Ein lindes weiches Wehen trug von einem wilden Apfelbaum ein Blütenblatt, einen FrühHngsflaum. 36 Da kam aus Osten, hügelab, trug keinen Hut und keinen Stab und führte keinen Ranzen mit, der Tag im leichten Wanderschritt. Auf seine helle Stime fiel ein frei Gelock, des Windes Spiel. Kein Kleid umgab der Glieder Pracht, nackt schritt er, wie ihn Gott erdacht. Nur eine Sonnenblume hielt er in der Linken. Hochgestielt der goldne Stemkelch scheitelnah ihm schwankend über die Schulter sah. So ging er strahlend gradeaus, und über ihm zog mit Gebraus ein Schwann von weißen Schwänen mit. Er wuchs, wie er das Feld durchschritt, und stand zuletzt am Horizont, ein Riese, flammend übersonnt. Um ihn, wie lichte Wölkchen sahn die Vögel aus, Schwan neben Schwan. Und aus dem weißen Glitzermeer grüßte die gelbe Blume her. GESANG DER MUSCHELN Hier auf deinem Fensterbrette durcheinander hingetan, träumen wir vom Wiegenbette, träumen wir vom Ozean. Unter Algen, unter Moosen. Tief im Wald von .Silbertang lebten einen sehnsuchtslosen Tag wir, tausend Jahre lang. 37 Oben die kristallne Wandung, die uns von dem Himmel trennt, und im Ohr den Ruf der Brandung, die den Klippenwall berennt. Dunkle Purpurrosen blühten aus der Finsternis umher, tausend Augen blitzten, glühten gleich Demanten rings im Meer. Und nun liegen wir und glänzen hier auf deinem Fensterbrett, deine grellen Blumen kränzen unser hartes Totenbett. Und in deinen Händen fühlen wir dein heißes Blut mit Scham. Ach, als noch in ihre kühlen Finger uns die Nixe nahm! Ihre Silberflossen glitten leise unsern Leib entlang, und wir zitterten und litten, ' lauschten ihrem Femgesang. Tauche du nur einmal nieder, wo das Dunkel purpurn scheint, schenktest uns der Welle wieder, die um ihre Kinder weint. EIN GANG DURCHS FISCHERDÖRFCHEN Wenige Hütten, gedeckt mit überragenden Schindeln. Manche versteckt wies Kind in den Windeln hinter Apfelbaumgezweig und gegen den Steig von hohen Dornen eingeheckt. 38 Vorm Haus, kraus zwischen Kraut und Nesseln, Nelken und Georginen; hinter Fenstern und Gardinen Geranien, Goldlack und wieder Nelken, in Scherbenfesseln bestimmt zu welken. Fischergerät, Netze und Schnüre vor jeder Türe; hin und wieder ein frommer Spruch, und überall Fischgeruch. Im Sonnenbrande spielende Kinder im Sande, schmutzig und putzig, halb scheu und stutzig, halb dreist, und barfuß zumeist. Auf niederm Sitz der Schwelle hingeduckt ein altes Mütterchen hockt. Kartoffel schälend guckt sie her und lockt mit zitterndem Stimmchen aus zahnlosem Mund den klaffenden Hund: Komm Spitz! Eine Gänseherde schnattert vorbei. Ein Mädchen vollbusig und drall bringt eine Ziege zu Stall oder auf die Wiese. „Was macht der Schatz, Liese?" Wie verschämt sie tut. Ei, und sich umsieht und lacht. Nimm dich in achtl 39 Vorm ^W^rtshaus Entengeschwatz auf dem grasbewachsenen Platz und daneben auf dem übelriechenden Teich. Soeben krähen zwei Hähne zugleich, und die Störchin vom Scheundach herab klappert: klappklappklapp! - Klapp 1 Schwalben schießen wie Pfeile kreuz und quer über den Weg, haben immer Eile, sind immer reg, zierlich und schlank, blitz und blank. Aus dem Schulhaus, neu aus roten Ziegeln erbaut, schallts hell heraus: „Weißt du, wieviel Sternlein stehn — " Der alte Lehrer singt für zehn und fiedelt dazu. Hartnäckig dazwischen brüllt eine Kuh von naher Wiese, immer gleich kläglich. Es ist unerträglich. Weiter, beim Kirchhof zum Dorf hinaus, das letzte Haus sieht wie das erste aus: klein, dürftig und schmutzig. Auf niedrigem Kirchdach kauert wie versauert, als ob er die Lust an der Welt verlor, der Turm, gar putzig mit runder Haube, und lugt aus dem Laube breitästiger Linden grämlich hervor. Über die Friedhofsmauer hängt, die Wurzel zwischen die Quader gezwängt, 40 schwarzgrüner Efeu, und höher, im Hauch des Windes, wiegt sich am Strauch ganz leise, leise eine dunkelrote Rose. DAS BIRKENBÄUMCHEN Ich weiß den Tag, es war wie heute ein erster Maitag weich und mild, und die erwachten Augen freute das übersonnte Morgenbild. Der frohe Blick lief hin und wieder, wie sammelt er die Schätze bloß? So pflückt ein Kind im auf und nieder sich seine Blumen in den Schoß. Da sah ich dicht am Wegesaume ein Birkenbäumchen einsam stehn, rührend im ersten Frühlingsflaume, könnt nicht daran vorübergehn. In seinem Schatten stand ich lange, hielt seinen schlanken Stamm umfaßt und legte leise meine Wange an seinen kühlen Silberbast. Ein Wind flog her, ganz sacht, und wühlte im zarten Laub wie Schmeichelhand. Ein Zittern lief herab, als fühlte das Bäumchen, daß es Liebe fand. Und war vorher die Sehnsucht rege, hier war sie still, in sich erfüllt; es war, als hätte hier am Wege sich eine Seele mir enthüllt. 41 DER LIEBENDE Wie schön, wie schön das stille Land, der stille Fluß im Abendschein. Ich lege fühlend Hand in Hand und sammle mich und denke dein. Die Wolken, die da oben stehn, von einem roten Gold umsäumt, die Wellen, die da unten gehn, von einem schwarzen Schilf umträumt, Sie sind der dunkle Untergrund, worauf dein liebes Bildnis brennt, sie sind der immerlaute Mund, der deinen lieben Namen nennt. Und wenn der letzte blasse Strahl erlischt, und ist kein andrer Schein, und rauscht in das verstummte Tal leis der verhüllte Fluß hinein. Dann kommst du wie der Mond herauf, den ungetrübter Glanz umgibt; die Nacht beflügelt ihren Lauf und bringt dein Licht dem, der dich liebt. PARKSZENE Inmitten eines übersonnten Rasens, den erste Gänseblumen übersprenkeln, sitzt eine Dame. Und ein brauner Bär, ein großer brauner Bär, der schläfrig sich, behaglich in das kurze Gras gestreckt, die Tatzen leckt mit blutigroter Zunge, dient ihrer leichten Last als Ruhebank. 42 Zitronengelbe Seide hüllt die feine, zerbrechlich zierliche Figur und liegt in schweren Falten auf dem grünen Teppich, und in der Nacht der rabendunklen Haare blitzt blendend ein kostbarer Demantstem. Die grauen Augen starren aus dem blassen, tiefernst nachdenklichen Gesicht ins Leere. Die Linke mit dem prächtigen Straußenwedel, dem purpurfarbenen am goldnen Stiel, hängt schlaff zur Seite, und die Rechte ruht, durchsichtig fast, mit langen, schmalen Fingern, auf ihres Sitzes weichem Zottelpelz. Ganz leise grollt bei wolkenlosem Himmel, ein femer Donner in die warme Stille, und einmal, aus des Gartens Tiefe, klingt ein heiserer, mißtöniger Pfauenschrei. Ein Negergoliath, schwarz wie Ebenholz, mit einem blauen Schurz nur angetan, der schärpengleich sich um die Lenden schlingt, bringt einen Brief auf silbernem Tablett. Und hastig bricht die Herrin diesen Brief, wird blässer noch als unberührter Schnee, erhebt sich schnell und geht im Zögerschritt, die Schleppe knistert leise, durch den Park. Und hinter ihr trabt, seinen Dickkopf schüttelnd. Prustend, als ob ihn Asthma plagt, der Bär, und in gemessener Entfernung folgt der Riesenmohr, sehr langsam. Schritt vor Schritt. Den Purpurwedel hat er aufgenommen, und fächelt Kühlung sich, sehr würdevoll und wahrhaft vornehm. Lauter klingt das Murren, und drohender, des schnell genahten Wetters, und wieder schreit, fast zornig jetzt, der Pfau. 45 EIN MÄDCHENLACHEN Ein stiller Park. Ein ganz verträumtes Schloß, so tief im Schatten, daß das Lichtgeschoß des Tags wohl niemals diese Fenster streift. Das Dunkellaub uralter Ulmen greift bis auf die weiße Ruhbank fast herunter, drauf liegt ein leichter Mädchenhut mit bunter schottischer Schleife, die ein Schmetterling, scheint es, für Blumen hält. Das dumme Dingl Ein Bläuling ists. In wahrer Taumelglut zickzackt er um den duftigen Sommerhut. Was bleibt ihm auch in diesem Meer von Grün, drin weiter keine Farbeninseln blühnl Kein blasses Blümchen leuchtet aus dem Rasen, wo in das Gras zwei imitierte Hasen aus Ton sich ducken. Einem fehlt das Ohr, das er, Gott weiß, bei welcher Jagd verlor. Ganz still ists hier und etwas dumpf und feucht. Nur einmal wird die Stille aufgescheucht: Ein Mädchenlachen aus dem Park, so rein und hell und leicht und warm wie Sonnenschein. Gewiß, dort hinten, wo dies Lachen funkelt, sind nicht die Wege schattenüberdunkelt, da muß es blitzen, leuchten, lauter Licht, und mitten drin ein lieb und jung Gesicht. Noch einmal lachts hell aus des Parkes Tiefen. Die alten Ulmen, die zu Mittag schliefen, erwachen plötzlich. Durch die Zweige schwirrt ein Rauschen. Und der Bläuling, wie verwirrt, zickzackt wie toll, besinnt sich, stürzt, ein Blitz, hinüber zu dem weißen Ruhesitz, zum Hasenpaar. Die blauen Flügel wandern ganz aufgeregt von einem zu dem andern, als gäbe es sehr Wichtiges zu künden. Ob sies verstünden? Ob sies nicht verstünden? Nein, sie verstandens nicht, die dummen Hasen, stumm hocken sie und regungslos im Rasen. 44 DIE REGENINSEL Aus eines fernen Ozeans grauen Wassern, die nie ein Sturm aus ihrer Ruhe rüttelt, ragt unter schwerem, ewig trübem Himmel in flachem Anstieg eine stille Insel. So lang des Meeres schläfrig träge Wellen mit schmutzig gelbem Schaum den Strand umkränzen, seit tausenden von Jahren, rieselt endlos derselbe sanfte Regen aus den Wolken und näßt den Boden, dessen üppige Wildnis die Feuchte trinkt mit immer durstigem Mund. Und ewig plauscht und plantscht und plitscht und platscht es. Eintönig, rhythmenlos, tropfts von den Zweigen, gluckts seufzend von den Ranken, fällt von Halmen wie Tränen ab und klatscht in tausend Tümpel, lehmfarbige Lachen, und verspritzt, zerstäubt. Baumriesen, deren nasse, blanke Äste Schlammfransen schmücken, als ob gestern erst die Insel aus den Fluten sich erhoben, beschatten mächtige Farrenwedelwälder und dicke, fleischige, tellerförmige Blätter von Sumpfgewächsen rings und hochgestielte farblose Blumen, die in schwammigen Kelchen den Regen fangen, der in feinen Bächen der schwanken Becken Ränder überrinnt, und ewig plauscht und plantscht und plitscht und platscht es. Fremdartige Vögel horsten auf den Bäumen mit fettigem, ölglänzendem Gefieder und schwarzem, abgestumpftem Entenschnabel. Aus lehmiger Erde bauen sie die Nester den Schlicks» und schlammumhüllten Waldkolossen in ihre breiten Arme. Klagend klingen, gebrochen, schrill, die wunderlichen Rufe der großen grauen Tiere, die mit leisem, 45 fast regungslosem Flug die weite Öde der See bestreichen und nach Fischen fahnden. Seltsame, stumme Stelzenvögel jagen im Sumpf nach feisten, plumpen Riesenfröschen, und fabelhafte Wesen, halb der Otter, halb einem Eichhorn gleich, mit Flatterflügeln wie eine Fledermaus, nur größer, führen ein wunderliches, drolliges Doppelleben, halb Vogel und halb Fisch, in all dem Naß. und ewig plauscht und plantscht und plitscht und platscht es. Doch märchenhafter noch als diese Tiere sind hier die Menschen. Klein, breitmäulig, schielend, mit Karpfenaugen unter wulstigen Lidern, und fischgeschwänzt, Schwimmhäute an den Händen, so liegen sie, aus ihren Biberhütten hervorgekrochen, paarweis und in Rudeln, gleich Robben rings am Strande auf den Bäuchen, Siesta haltend in den Mittagstunden und schläfrig grinsend, wenn mit lautem Klatschen ein Fisch sich aus den kaum bewegten Fluten des müden Meeres in den Regen schnellt. Und ewig plauscht und plantscht und plitscht und platscht es aus grauem Himmel auf die tranigen Leiber der Robbenmenschen, rollt in runden Perlen, in kleinen Kügelchen herab und löst sich in Tropfen, zitternd, zögernd, von den breiten, ein wenig aufgestülpten Nasen ab. Ein tiefes Schnarchen knurrt am Ufer hin. Und manchmal lacht ein leises, fettes Kichern wie hinter vorgehaltenen Händen auf, wenn hinterrücks so ein geschwänzter Schäker mit langem, spitzem Schilf ein Mädchen kitzelt, das nur so tut, der Schelm, als ob es schläft. 46 SINGE MÄDCHEN Singe Mädchen, dein Gesang ist ein flüchtig Schleierheben, deine scheue Seele zeigt unverhüllt ihr Blumenleben. Seelen sind wie stille Seen, wer mag in die Tiefe dringen? Nur vereinzelt sich ans Licht ihre weißen Rosen ringen. Aus den lichten Kelchen steigt eine hold verschämte Kunde — von den Schätzen, die sich keusch bergen auf dem stillen Grunde. HINTERM DEICH Hinterm Deich, weißt du, Schatz hinterm Deich den Sonnenplatz? Überm Ginster, überm schwanken Hafer hin das Spiel der blanken Schmetterlinge. Jetzt ein Schrei: Eine Möwe flitzt vorbei. Einmal auch, wie weit, weit her dumpfer Ruderschlag vom Meer. Hinterm Deich, menschenfern, kleine Nelken, Stern an Stern, kleine rote Nelken standen, die wir uns zu Sträußen banden, große Kinder, ich und du, lachten wir vergnügt dazu, sahn dann wieder ernsthaft drein: darf man denn so kindisch sein? 47 MANCHERLEI NUTZEN Freuten uns an duftgen Blüten, die für uns im Laube glühten. Nun, da sich auch Früchte zeigen, pflücken wir aus vollen Zweigen. Kommt der Winter, nützt aufs beste, wärmend uns, ein dürr Geäste. Wenn die Flammen aufwärts schlagen, träumen wir von Frühlingstagen. DAS MITLEIDIGE MÄDEL Trug mein Herz ich auf der Hand, wehte ein Wind her übers Land, weg war es. Kam ein Mütterchen. Mit Verlaub, habt ihr mein Herz? Die Alte war taub, nickte nur. Kam der Jäger, brummte was, so ein Herz, was schert mich das, frag weiter. Fragt ich die Wege auf und ab, keiner mein Herz mir wieder gab, weg war es. Kam zuletzt des Hufschmieds Kind. Mädel, sahst du kein Herz im Wind? Lachte sie leis: Hats auch der Wind nicht, hast du doch keins, dauerst mich, Bub: da, nimm meins. Aber halts fest. 4S DIE SORGLICHEN Im Frühling, als der Märzwind ging, als jeder Zweig voll Knospen hing, da fragten sie mit Zagen: Was wird der Sommer sagen? Und als das Korn in Fülle stand, in lauter Sonne briet das Land, da seufzten sie und schwiegen: Bald wird der Herbstwind fliegen. Der Herbstwind blies die Bäume an und ließ auch nicht ein Blatt daran. Sie sahn sich an: Dahinter kommt nun der böse Winter. Das war nicht eben falsch gedacht, der VC^nter kam auch über Nacht. Die armen, armen Leute, was sorgen sie nur heute? Sie sitzen hinterm Ofen still und warten, obs nicht tauen will, und bangen sich und sorgen um morgen. KINDERREIM Rische rasche rusche, der Hase sitzt im Busche. WoUn wir mal das Leben wagen? Wolln wir mal den Hasen jagen? Rusche rasche rische, der Hase sitzt bei Tische. Siehst du dort im grünen Kohl ihn? Flink, nun lauf mal hin und hol ihn! 49 Rische rusche rasche, hast ihn in der Tasche? Was? Er ist ins Feld gegangen? Ätsch! Kann nicht mal Hasen fangen! LÜTT URSEL Lütt Ursel, lütt Snursel, wat snökerst du rum? Di steit din lütt Näs wuU na Appel un Plumm. Lütt Ursel, lütt Snursel, din Näs is man n Spann, doch is dat n Näs all för Pött un för Pann. Lütt Ursel, lütt Snursel, dar hest n Rosin, dar sünd dre lütt Steen in, un all dre sünd din. DE SNURKERS De Klock sleit acht, nu Kinners, go Nacht. Man gau un man fixen herut ut de Büxen, man flink ut de Schoh un rinne int Stroh. De Klock sleit negen, de Ollsten, de sägen, 50 de Lütt, mit sin Snuten, kann ok all wat tuten. Dat is n Konzert, is wirkli wat wert. De Klock sleit tein, nu, Olsch, ward dat fein, nu legg di man slapen, du hast dat schön drapen, nu klingt dat erst recht, ik snurk as n Knecht. DAS DUMME KÄTZCHEN Ists nicht zum Lachen? Kätzchen will Fliegen fangen und weiß es nicht zu machen. Immer summ und immer brumm dicht um Kätzchens Nas herum. Wie es greift und wie es grapst, immer hats vorbeigehappst. Immer summ und immer brumm! Kätzchen springt um sich selbst herum. Auf einmal sitzt es ganz still und guckt, nur das weiße Schwänzchen zuckt. Warte nur Fliege! Jetzt muß es glücken. Ein Luftsprung. Atsch! Da liegts auf dem Rücken. Immer summ und immer brumm, dicht um Kätzchens Nas herum. Liebes Kätzchen, nimms nicht krumm, aber du bist furchtbar dumm, summ, summ, summ, furchtbar dumm! t* 51 GÄNSEGESCHNATTER Lieschen geht übers Feld allein, nur der Spitz trollt hinterdrein, kommen sie bei zehn dummen Gänsen vorbei, erheben die Gänse ein schrecklich Geschrei: Schnatter, Schnatter, Schnatter lütt Deern, wo heet dien Vadder lütt Deern, wo heeten dien Tanten gröt er von uns Ganten, un drög weer nich natt, un n Pott weer keen Fatt, un n Schob weer keen Stebel, un n Knast weer keen Knebel, un n Flint weer keen Säbel, un n Steert weer keen Snabel, un n Katt weer keen Mus, adjüs, gab na Hus. WAS HABEN DENN WIR SCHNEIDER AUCH GROSS FÜR EIN GEWICHT Der Riese sitzt am Brückenhaus und will den Zoll erheben, der Meister Zwirn im Wanderflaus will ihm den Zoll nicht geben: Zoll hin, Zoll herl Den zahl ich nicht, ganz sicher nicht! Was haben denn wir Schneider auch groß für ein Gewicht! Der Riese fährt ihm ins Gesicht mit Augen groß wie Räder: Hier gehts nach Maß nicht und Gewicht, Zoll zahlen muß hier jeder. 52 Sein breiter Rücken sperrt den Steg, den ganzen Steg: Dann mußt du eben schwimmen, sonst kommst du hier nicht weg. Stromabwärts treibt ein Lindenblatt, der Meister sieht es segeln und denkt: Das Ding kommt dir zustatt, wer zankte sich mit Flegeln. Zoll hin, Zoll herl Den zahl ich nicht, ganz sicher nicht! Was haben denn wir Schneider auch groß für ein Gewicht! Ein Sprung — so sah ich all mein Tag noch keinen Menschen springen. Ein Heuschreck, wenn er Mut hat, mag es auf die Hälfte bringen. Das Blättlein schwankt ein wenig kaum, ganz wenig kaum, der Schneider hats ersprungen so eben noch am Saum. Der Meister auf dem Blättlein steht und rudert mit der Elle, die stolzeste Fregatte geht nicht sichrer durch die Welle. Zoll hin, Zoll her! Den zahl ich nicht! ganz sicher nicht! Was haben denn wir Schneider auch groß für ein Gewicht! Der Riese sieht vom Brückensteg die lustige Gondel schwimmen, da schwimmt ein Gröschlein Zoll ihm weg, das mag ihn baß ergrimmen. Und dann der kecke Schneidermut, der Schneidermut, der also sich erdreistet, wie bringt ihn der in Wut. 53 Er schleudert einen großen Stein, das Schiflflein zu zerschellen, der aber fliegt ins Feld hinein, weit drüben, achtzig Ellen. Der Schneider denkt: Herrjemine 1 Herrjemine] Wenn der mich hätt getroffen, das tat noch lange weh. Das Lindenblättlein stößt zu Strand, das SchifFerlein hupft über und winkt dem Riesen mit der Hand: Adjöl Ich bin hinüber! Zoll hin, Zoll her! Den zahl ich nicht, ganz sicher nicht! Was haben denn wir Schneider auch groß für ein Gewicht! DIE ZIERLICHE GEIGE Ein klapperdürrer Fiedelmann stand unter einem Baume und setzte seine Geige an und geigte wie im Traume und sang ein leises Zwitscherlied, das rührte an die Äste, und als der letzte Ton verschied, da starb ein Spatz im Neste. Der klapperdürre Fiedelmann stand unter trocknem Kranze und setzte seine Geige an und geigte flott zum Tanze und geigte flott zum Erntebier, wo Rock und Schürze fliegen, ein letzter Triller, zart und zier, da muß die Großmagd liegen. 5i Und wieder stand der Fiedelmann stocksteif vorm Pastorate und setzte seine Geige an zur geistlichen Sonate. Ein rührend Religioso sang von allen Himmelsschauern, ein schluchzender Morendogang — Wer predigt nun den Bauern? Dann stand der fleißige Fiedelmann wohl auf der Herrendiele und setzte seine Geige an zu raschem, scharfem Spiele. Das klang halb wie ein Trinklied froh, halb wie ein Sturm auf Schanzen, ein kurzes, keckes Tremolo, da muß der Schloßherr tanzen. Und neulich stand der Fiedelmann auch vor des Schulzen Kammer und setzte seine Geige an und sang wie eine Ammer und sang und sang den ganzen Tag und sang vor tauben Ohren, an dem, der da im Fieber lag, schien jede Kunst verloren. Da trat er dicht ans Bettgestell, hub wütend an zu kratzen, doch statt des Kranken Trommelfell mußt ihm die Quinte platzen. Erbost schlug er sein Saitenspiel aufs Haupt dem zähen Recken, die Geige in zwei Stücke fiel, der Schulze starb vor Schrecken. Der klapperdürre Fiedelmann, da hockt er nun am Rande und leimt sein Zeug, so gut er kann, flickt Saiten, Steg und Bande. 55 Und brummt, das hat man nun davon, dem spielt ich zu manierHch, jetzt lern ich Baß und Bombardon, die Geige ist zu zierlich. DER RITTER Der Ritter zieht durchs Land allein. Will keiner mit ihm streiten? Im Morgen«* und im Abendschein blitzt ihm sein Schwert zur Seiten. Ein hoher Mut schwellt ihm die Brust, kühn wie einst Alexandem, hätt auch auf beide Indien Lust, doch trabt er jetzt durch Flandern. In Flandern liegt ein Dunkelforst, zehn Meilen in der Länge, so recht ein Raub:» und Bärenhorst, voll Höhlen, Schlich und Gänge. Der Ritter lenkt sein Roß hinan und wittert Ruhm und Ehre, packt seinen Flamberg fester an zum Angriff und zur Wehre. Kaum streift das erste Laub den Helm, und rührt sein Panzereisen, springt hinterm Busch her schon ein Schelm, ihm seinen Spieß zu weisen. Ein schöner Anfang 1 Hieb und Stiehl daß rings die Blätter fliegen. Den Schelm zerbläut er jämmerlich und läßt am Weg ihn liegen. Ein zweiter noch, ein dritter noch, doch tief in Waldesschauem gerät er erst ins rechte Loch wo Tod und Hölle lauem. i 56 Gleich sieben dringen auf ihn ein, des Hauptmanns gelbe Feder schwankt schrecklich her im Mondenschein und teuflisch grinst ein jeder. Der Ritter tobt, als sähen ihn bereite Barden raufen, ihm gleich in vollen Melodien Unsterblichkeit zu kaufen. Vier büßen ihre Hälse ein, zwei andre Nas und Ohren, der letzte läuft davon mit Schrein, sonst war auch er verloren. Ihr Heiligen, keucht der Ritter, dank! Das bleibt euch unvergessen. Er kniet auf blutiger Rasenbank, gelobt zehn fromme Messen. Drauf steigt er wieder frisch zu Roß und reitet stracks von dannen, des Morgens rote Glorie floß schon leuchtend durch die Tannen. Und als er kommt ins flache Land, sein Schimmel steigt vor Schrecken, ein Häslein setzt vom Grabenrand querein durch Feld und Hecken. Ein ganz klein Häslein ist es nur, doch machts die Stute grauen, sie bäumt vor Angst steil auf und stur, die Vorderfüße hauen. Der Ritter liegt am staubigen Knick, sein gutes Schwert im Graben, sein Eisen brach ihm das Genick und schenkte ihn den Raben. Was nützt uns alle Kühnheit denn und Mut gleich Alexandem, fällt unsem Traum von Indien und uns ein Has in Flandern. VI HELDEN Drei Reiter halten im Heidekraut. Die Wolken jagen. Der Tag vergraut. Ein alter Recke, weiß quillt ihm das Haar, erspäht vom Rappen die Türkenschar. Rechts auf dem Schimmel, krampft sein Sohn die Eisenfaust um den Schwertknauf schon, und der Enkel zur Linken, ein Milchgesicht, prüft seinen Pfeil: heut zittere nicht. Weithin schweigt das düstere Land bis an die schwarze Wälderwand, wo ihre bangen Hütten stehn, und Weib und Kind und Schwester gehn. Leis klirrt des Alten Eschenspeer, schiebt sich der Rappe hin und her, und über des Schimmels Sattelknauf zuckt hastig ein hungriger Schwertblitz auf. Der Knabe hebt den Bogen sacht und brennt auf seine erste Schlacht. DIE BEIDEN SPIELER Auf den Tisch schlägt Christoph Buchwald: „Es giltl" Hei, wie die beinernen Glücksjäger tanzen] Detlev Brockdorffs hämmernde Stirnader schwillt, seine Blicke sind wie saugende Wanzen. Acht Augen? Nicht mehr? Christoph Buchwald wird blaß: der Teufel warf dasi Acht Augen nur? — Detlev Brockdorffs Hand wägt schüttelnd die Würfel. Die rasseln so eigen. „So werft dochr* — Schweigen. — „Reuts Euch?" „Pahl - - Dal" Wie ein Wetter hagelts. „Sieben!" - Verlorenl 58 Detlev Brockdorff taumelt vom Stuhl, kalkweiß. Christoph Buchwalds grausame Wolfsaugen höhnen. Die Würfel sprangen um hohen Preis. Wo spielt man höher? Es galt den Söhnen: Ihr eigen Blut verspielt, verzecht 1 Detlev Brockdorff warf schlecht. Sieben Augen nur! Sein fingernder Griff fiebert am Dolch. Die Zähne blecken. Detlev Brockdorff läßt das Messer stecken. Edelmannswort 1 — Mord? Wer sagt das? Ehrliches Spiel warsi Ver würfelt! Detlev Brockdorffs flachshaariger Knabe schreit, daß die Gäule im Stall schrecken und scheuen. Detlev Brockdorffs Rock ist von Blut bespeit. Jetzt geht Detlev Brockdorff in einem neuen. Wer schilt Detlev Brockdorff? Die Schuld ist bezahlt. — Christoph Buchwald prahlt, und krümmt wie zum Würfeln die hohle Hand. „Fortunas Nestl" — In der Totenkapelle brennen sieben große, helle Kerzen am Sarg. Karg war das Becherglück immer dem Detlev Brockdorff. DIE TREUE SCHWESTER Vater und Mutter lagen im Grab, und der Bruder wollt übers weite Meer. Wiebke hing an seinem Hals verzagt und weinte sehr. Meine Lampe will ich ans Fenster stelln, kein Stern hat hellem Schein, Herzbruder, und wenn du wiederkehrst, dein SchiflF läuft sicher ein. 59 Ans Fenster stellte die Lampe sie und wartete an sieben Jahr, alle Schiffer kannten ihr Licht, das brannte hell und klar. Sieben Jahre und sieben noch, lösch doch deine Lampe ausi Sie schüttelte ihren weißen Kopf: Er kommt doch einmal nach Haus. Und eines Nachts, und die See ging schwer, und sie sahen, am Fenster brannte kein Licht; da sprachen sie, er ist heimgekehrt, ihr Glaube trog sie nicht. Und morgens, sie wollten den Bruder sehn, im Hafen war kein Schiff, kein Boot, und sie gingen und fanden die Lampe leer, und Wiebke saß und war tot. DIE BRÜDER Zwei Brüder schneiden Schlag auf Schlag des Vaters Feld am heißen Tag. Und haben mit vereinter Kraft ein tüchtig Tagwerk halb geschafft. Da hebt der Jüngste scherzend an: „Möcht wissen, wers am besten kann?" Worauf der andre lacht: „Ich mein, ich müßt der bessere Mähder sein." „Es giltl" klingts frohgemut zurück. „Ich halts, versuchen wir das Glück." Und wie dem kecken Wort zum Sporn fährt jäh ein Windstoß durch das Korn. — Und weiter saust und sirrt das Erz und greift den Ähren an das Herz, 60 und wie sie schaflFen, stumme Hast, verrinnt der Tag mit Glut und Glast. Bald ists getan. Die Sense fliegt, der Ältre sieht, er unterliegt. Zehn Schläge nur, doch sind es zehn; er siehts und grollt und wills nicht sehn. Könnt er nur scherzen. Doch mißlingts. Könnt er nur lachen. Höhnend klingts. Wort reizt Wort. Zorn reizt Zorn. Verschüttet schweigt der Liebe Born. Und eh die Sonne ganz erlischt blitzt noch einmal der Strahl und zischt, und Abel liegt am Boden, bleich, gefällt von Bruder Kains Streich. DIE SCHNITTERIN War einst ein Knecht, einer Witwe Sohn, der hatte sich schwer vergangen. Da sprach sein Herr: Du bekommst deinen Lohn, morgen mußt du hangen. Als das seiner Mutter kund getan, auf die Erde fiel sie mit Schreien: O lieber Herr Graf und hört mich an, er ist der letzte von dreien. Den ersten schluckte die schwarze See, seinen Vater schon mußte sie haben, den andern haben in Schönens Schnee Eure schwedischen Feinde begraben. Und laßt Ihr mir den letzten nicht, und hat er sich vergangen, laßt meines Alters Trost und Licht nicht schmählich am Galgen hangen. 61 Die Sonne hell im Mittag stand, der Graf saß hoch zu Pferde, das jammernde Weib hielt sein Gewand und schrie vor ihm auf der Erde. Da rief er: Gut, eh die Sonne geht, kannst du drei Äcker mir schneiden, drei Äcker Gerste, dein Sohn besteht, den Tod soll er nicht leiden. So trieb er Spott, hart gelaunt, und ist seines Wegs geritten. Am Abend aber, der Strenge staunt, drei Äcker waren geschnitten. Was stolz im Halm stand über Tag, sank hin, er mußt es schon glauben. Und dort, was wars, was am Feldrand lag? Sein Schimmel stieg mit Schnauben. Drei Äcker Gerste, ums Abendrot, lagen in breiten Schwaden, daneben die Mutter, und die war tot. So kam der Knecht zu Gnaden. DIE EQUIPAGE Ein Spielball seiner scheugewordenen Pferde, der Vollblutfüchse, die wie furchtgepeitscht durch Staub und Funken in den heißen Tag den eierschalenleichten Wagen reißen, rast über den Weg ein vornehmes Gefährt, lautlos, auf Gummirädern. Rechts und links, hier, dort, an jedem Stein droht ihm Zerschellen. Entsetzt ist der Lakei hinabgesprungen. Zurückgesunken liegt, vom Schreck gelähmt, der Ohnmacht nah, im grünen Plüsch des Fonds die alte Exzellenz. Im Knopfloch prangt des mäusegrauen Überrocks kokett 62 die herrlichste, tiefdunkelrote Rose. Das feine schmale Diplomatenantlitz, bartlos und voller Falten, tausend Runzeln, gleich einer Walnuß, deckt aschfahle Blässe, weit aufgerissen heften sich die Augen, die wasserhellen, klugen, alten Augen, als sähen ein Gespenst sie, auf den Kutscher. Schlaff hängt, wie tot schon, über den Rand des Schlages die Rechte mit den angstgespreizten Fingern. Den Greis zur Linken beugt zum Sprung sich vor ein Mädchen, ein sehr junges, schlankes Ding, soeben flügge erst, ganz weißgekleidet, mit brennend rotem Haar, dess schwere Flechten, zwei breite Flammen, nach den Hüften züngeln, und alles Blut hat aus den weichen Wangen die Todesangst ins Herz zurückgejagt. Den kleinsten Fuß im spitzen Atlasschuh schon auf den Kissen vor sich, mit der Faust die pfirsichfarbener Handschuh überstraffit, des Bockes Eisenstange fest umkrampfend, stiert wie gebannt auch sie mit starren Augen, mit süßen Kinderaugen, die das Graun vergrößert hat, auf Fritz. Mein Gottl Fritz! Fritz! der dreht den Hals und nickt ihr hämisch zu, ein grausig Beingesicht ohn Fleisch und Blut: Fritz blieb zu Haus, Komtesse, heut fahre ich. Der Seidenpinscher mit dem Fell wie Schnee, der auf dem Vordersitz bequem sichs macht, hebt ganz verwundert seine klugen Augen. Höchst unklar ist noch immer ihm der Vorgang, und fragend blickt er bald auf Fritz, bald auf die junge Herrin. Aus dem Zahngehege, dem scharfen, hechelt Fifis rosig Zünglein, und an dem himmelblauen Halsband zittert ein Silberglöckchen, dessen Kling und Fing im Donnerlaut des Hufschlags untergeht. 63 Breitbeinig steht der Tod, weit vorgebeugt, ein Muschellenker, der sein Wettgespann um Kranz und Gloria durch die Rennbahn kreist. In harter Knochenfaust die schlaffen Zügel, und mit der andern weit ausholenden Schwungs der Peitsche schlangenschmeidige Geißelschnur den bangen Tieren um die Ohren klatschend, scheint er ganz Lust, im hellen, harten Blick des kränzesicheren Sieges Übermut, und um den Mund, daraus die feste Mauer des prächtigsten Gebisses blitzt und lacht, ein schlächterhaft brutales, breites Grinsen. Der Glanzhut mit der farbigen Rosette, der mählich in den Nacken ihm gerutscht ist, zeigt halb des Schädels blanke Billardkugel, und um die dürren Glieder schlampt und schlottert die kaJBFeebraune, goldenknöpfige Livree dem Schrecklichen, der gut gelaunt zu irgendeinem seiner Feste sich die Gäste in der Equipage holt. Die wilde Jagd verschlingt ein Tannenwäldchen. In Staub und Glut der Straße aber Hegt hellschimmernd eine weiße Rosenknospe, erschlossen kaum, feuchtwarm der zarte Stengel, als hätt noch eben eine heiße Hand die Todgeweihte lebensfroh umfaßt. Der laue Mittagswind streicht drüber hin, ein scharlachfarbner eiliger Schmetterling, sich überhastend, gaukelt leicht vorüber, kehrt wieder, ruht wie müde eine Weile matt flügelnd auf dem Blütenbett sich aus, und nimmt den Weg ins übersonnte Feld schnittreifen Hafers, das der Friede küßt und wolkenlose Bläue überdeckt. 64 EINSAMER TOD Durch Rosen bin ich aufgestiegen und trunkner Falter Taumelflug. Bald blieb der bunte Garten liegen, der Weg, der schnell mich aufwärts trug, verliert sich in ein ödes Graun, kein milder Hauch besonnter Aun, kein Halm, wohin das Auge blickt, der Tod hält dies Geklüft umstrickt. Auf einem Steinsitz seh ich ihn, rückangelehnt, weitab, im Traum. Die Sense, quer auf seinen Knien, zeigt einen schmalen blutigen Saum. Ein Geier, Kopf und Hals sind kahl, krallt auf dem Schaft und wetzt am Stahl den Schnabel, und sein Pink und Pank klingt wunderlich: Hab Dank, hab Dank. Erschreckt vor meines Schritts Geknirsch im Schuttgeröll, stößt jäh er vor mit Schnabelhieb, krächzt wild und wirsch und kreist zum schroffen Grat empor. Hinklirrt die Sense. Taumelnd fährt der Träumer auf: Wer sein begehrt? Holt aus zum Schlag. Ein Schatten zieht grau über mir, ein Sausen flieht, ein Rauschen wie von Flügeln, weit, dann eine stille Seligkeit, ein Flatterflirren in Flimmerluft, und süßer, süßer Rosenduft. STURM Die Wolken bersten. Blitz auf Blitz, als ob ein Sack voll glühender Schlangen platzte, zischt in das erschrockene Meer. Der Sturm trompetet: Krieg! Krieg! Und fährt, ein Wikinger, daher. 65 als gälts in einem Stoß den Feind zu werfen. Doch schweigend trotzt das steile Felsenufer. Die alten Eichen oben stemmen tapfer die breite Brust dem Sturm entgegen: komm nuri Die erste spleißt, zerspellt. Die zweite schwankt, schmettert zu Boden, reißt den Schoß weit auf, der sie jahrhundertlang ernährt, und stößt stürzend Geröll und Erde mit ins Meer. Sekunden schwebt sie überm Rand. Hält sie der Sturm hohnlachend in der starken Faust? Griff sie der Tod, der dort in einer Spalte des wildzerklüfteten Gesteins voll Gier der Beute wartet? Eine schwarze Wolke, weht, straff gebauscht, sein Mantel weit hinaus. Den linken Arm fest ums Gestein gehakt, beugt er sich vor, und in den blauen Blitzen leuchtet sein Schädel wie die Möwen, die der Sturm wie spielend an die Klippen wirft. Und wie die Möwen leuchten grell und flattern zerfetzte Segel draußen. Eine Brigg. Ein wilder Tanz! Die eine Welle wirft den steuerlosen Rumpf der andern zu : Vielhundert Tänzer und nur eine Braut. Auf einmal — wächst der Tod ins Riesenhafte? Ein schwarzer Schatten, greift er lang hinaus, packt mit der Faust den Mast und schüttelt ihn, biegt, zieht und zerrt. Gehts ihm nicht schnell genug? Die Beingelenke krachen. Lauter kracht die Brigg in allen Fugen. Und er hat sie, hebt sie — tat es die Welle? nein, er hebt, ein Spielzeug, sie und stampft sie auf das Riff, daß Kiel und Bug und Deck wie Glas zersplittern. Ein einziger Schrei I Zwölf Männer schluckt die See. Nur einer, dort, auf der gestürzten Eiche — sie trägt ihn. Rittlings klemmt er um den breiten Stamm die Schenkel, krallt sich ein ins knorrige Geäst und reitet so, 66 triefend, ein Meergott, durch den Wogenschwall. Jetzt höher, Wellen, höher! Er steht oben, blutend, keuchend, erschöpft, taumelt aufs Knie, doch er ist oben, ist gerettet, lebt! Und finster blickend weicht vor ihm der Tod zurück und schwindet knirschend um die Klippe. DE STORMFLOTH Wat brüllt de Storm? De Minsch is n Worml Wat brüllt de See? n Dreck is hei De Wind, de weiht, up springt de Floth un sett up den Strand ern natten Fot, reckt sik höger und leggt upt Land, patsch, ere grote, natte Hand. De lütte Dik, dat lütte Dorp, de Floth is daraewer mit eenen Worp. Dar is keen Hus, dat nich wankt und bevt, dar wahnt keen Minsch, de morgen noch levt. Wat brüllt de Storm? De Minsch is n Worml Wat brüllt de See? n Dreck is hei EINSAME KATE Der Nebel braut über nacktem Land, man sieht die schwarzen Schollen kaum. Wie eine dicke graue Wand ragt der Wald überm Ackersaum. 67 Hinter kahleh Hecken versteckt, kauert eine Kate, niedrig und schief^ als ob sie, vom Nebel zugedeckt, den ganzen Winter so verschlief. Zwei Weiden sträuben ihr spärlich Geäst vor der Tür, ein morsches Stumpfenpaar. Eine alte Krähe hockt hier fest, als hockte sie hier das ganze Jahr. Sie rührt sich nicht, den Balg gebläht, den grauen Kopf tief eingeduckt. Nur ihr schläfriges Blinzeln verrät, daß sie der Tod noch nicht verschluckt. Einmal wippt sie ein wenig vor, hockt aber gleich wieder hin. Es war ja nur das alte Katentor, das knarrte und quarrte. Keine Gefahr. Ein altes Mütterchen hinkt aus dem Haus blinzt blöde in die Nebelwelt und streicht sich das Haar aus der Stirn heraus, gelbgraue Strähne. Das fällt, wies fällt. Ein winziges Beet, schwarz und feucht, liegt vor der Tür. Sie scharrt dabei herum und purrt um ein weißes Geleucht, erste Schneeglöckchen, zwei, drei. Sie schneuzt sich, fährt mit der flachen Hand über das welke Runzelgesicht, hustet und spuckt in den nassen Sand. Der Nebel ist gar zu schwer und dicht. Hüstelnd kriecht sie ins Haus. Das Tor kreischt kläglich, wie kleine Kinder schrein. Die Krähe wippt ein wenig vor, schlägt mit den Flügeln und duckt wieder ein. 68 Kein Laut. Die alte Kate liegt wie tot, es piept nicht eine Maus. Jetzt ein Krächzen. Schwerfällig fliegt die Krähe in den Nebel hinaus. KURZES GEWITTER Der Tag, ein Jüngling, schlank und braun, lehnte an meinem Gartenzaun. Da kam ein Wetter schnell herbei, schlug aus der Hand ihm die Schalmei, fuhr hart ihn an mit Blitz und Krach: Laß doch den Sonntagssingsang nach! Und zauste Haar ihm, Kranz und Kleid. Der arme Junge tat mir leid. Doch pudelnaß noch, lachte schon der überraschte Sonnensohn. Weit hinten schwamm der schwarze Graus; er schüttelte die Locken aus und pfiff, als ob er nichts erlitt, und alle Vögel pfiffen mit. DER FRÜHLINGSREITER Um Mitternacht bin ich jäh erwacht. Hufschlag hallte, ein Hörn erklang, daß ich erschreckt ans Fenster sprang. Der Mond schien hell, und da kam es zur Stell: Ein Schatten voraus, dann ein milchweiß Roß, darüber des Mondes Silber floß, und ein Reiter ganz jung, einen blauen Kranz im Gelock. Hell blitzte des Hornes Glanz in der Faust, und er stieß in das Hörn hinein, als sollte und müßte geblasen sein. 69 O war das ein Klang in dem Homgesangl Eine süße Kraft, eine blühende Kraft, eine zitternde, quellende Leidenschaft, ein Herz und ein Jubel, ein seliger Schreil ein Klingen, ein Leuchten — da war es vorbei. Hatte mich ein Traum betört? Nicht einer hatte den Reiter gehört, sie lachten mich alle am Morgen aus: Da kommt der Träumer, der Dichter heraus. Aber mein Töchterchen kam mit Hurra: Seht mal, die ersten Veilchen sind dal und ich glaube, auch Krokus und Narzissen kommen schon. — Was wollt ich noch wissen? Ich lächelte nur und sagte: Ja, ja, ich weiß, die Veilchen sind wieder da. GROSSES SCHEUERFEST Der Himmel hat die ganze Nacht viel Wasser ausgegossen, auch schwang der Sturm mit aller Macht den Besen unverdrossen. Seht nur, wie alles blitzt und lacht! Das nenn ich gründlich reingemacht I Doch gab es in der blanken Welt noch nasse Schuh und Socken, war nicht Frau Sonne schon bestellt, die macht nun alles trocken. Seht nur, wie sich die Alte müht und rot in schönem Eifer glüht. NÄCHTLICHE HEIDE Dunkel deckt die Erde nun, geh nicht hinaus, wenns graut. Es geht was um auf schleichenden Schuhn, kriecht mit dem Nebel durchs Kraut. 70 Schwarze Arme strecken sich aus, tastende Hände. Ein Leib, ein grinsend Gesicht aus dem Dunkel heraus, grauhaarig, ein altes Weib. Wo bliebs? Am Graben, am Ginsterstrauch wehts wie ein Schleier, spinnt ein grau Gespinst, löst sich, ein Rauch, leise ab und zerrinnt. Kein Licht, kein Stern. Nur Schatten und Schein: Gestalten, ein Nichts, und doch da. Und die seltsamen Stimmen, was mag es sein? Du weißt nicht, ists fem, ists nah. Eines Kindes Weinen, ein Flüsterklang, ein Rascheln und Knistern im Rohr, und manchmal ein Ton, so angstvoll bang, als ersticke einer im Moor. WAS WAR ES? Um Mitternacht der Regen fiel und schlug ans Fenster, Tropf und Tropf, und ohne Schlaf und schwer und schwül lag ich auf meinem heißen Pfühl und reckte mich und streckte mich und wälzte Welten um im Kopf. Um Mittemacht, da kam es her. Kling sprang der Schlüssel, kling das Schloß. Und übern Gang, durchs Zimmer nun, jetzt durch den Saal, auf plumpen Schuhn, da klappte es und tappte es, daß kalt mirs übern Rücken floß. 71 Um Mitternacht, da trat es ein, und ging ein Wehen vor ihm her, und näher kam es, nah, ganz nah, und schweißgebadet lag ich da und zitterte und witterte, daß nun mein letztes Stündlein war. Um Mittemacht, da fiel ein Wort. das klang so bang, das klang so tot, und war kein Licht, ein Dunkel nur, und schlug im Saal die alte Uhr, schlug ruck und ruck und zuck und zuck und schnurrte ab. Schwer fiel das Lot. Um Mitternacht, und wie es kam, jetzt Zimmer, Saal, jetzt Korridor, so ging es wieder. Schritt vor Schritt. Und in Gedanken ging ich mit, klapp, klapp, tapp, tapp, die Trepp hinab, und unten knarrte leis das Tor. DIE FALTE Heute sah ich den Haß, den herrlichen nackten Haß. So dacht ich mir die trotzige Schönheit gefallener Engel: Wildheit ganz und knirschender Stolz. „Wie schön du bist", betete ich an. „Millionen preisen mich", lächelte er, „mein ist das Reich." 72 Und ich sah auf und sah zwischen den Nachtbrauen die Schmerzfalte, senkrecht tief eingefurcht. „Warum diese Falte?" Abgewandt schwieg er. „Warum diese Falte?" Leise, verquält klang es zurück: „Weil ich nicht lieben darf.* DER BAUM Wie sollt ich die Scholle nicht lieben, das gute, treue Land, wo ich Wurzeln getrieben, in allen Winden stand. In allen Wettern und Winden wuchs ich auf und trieb Blüten. Kein Baum ist zu finden, der dankbar der Scholle nicht blieb. Nun tragen meine Äste Früchte, rot und blank, die Vögel, die himmlischen Gäste, kommen und sagen nicht Dank. Ich aber treib indessen die Wurzeln tief in den Grund, und während sie oben essen, trink ich unten mit durstigem Mund. Und fühle die Säfte steigen und fühl die lebendige Kraft, den brausenden Lebensreigen kreisen durch meinen Schaft. 73 FRITZ STAVENHAGEN [Rühmlichst bekannt durch seine plattdeutschen Dramen; starb im 31. Lebensjahre zu Groß?Borstel bei Hamburg.] zum Gedächtnis Es sprach die Not: Ich quäle dich. Es sprach der Mut: Ich stähle dich. Es sprach der Sieg: Ruhm winkt und Licht. Es sprach der Tod: Ich will es nicht. O Tod, das hast du schlecht gemacht. So schöne Kraft für nichts geacht. Viel Kräuter stehen hundertweis, was rauftest du dies Edelreis? (Spricht der Tod:) Fühl nicht wie ihr, bin hart und schneid all Kraut und Gras, ohn Lust, ohn Leid, und schon auch nicht der Blumen. Hut dein Röslein du, solang es blüht. GEBET Herr, laß mich hungern dann und wann, satt sein macht stumpf und träge, und schick mir Feinde, Mann um Mann, Kampf hält die Kräfte rege. Gib leichten Fuß zu Spiel und Tanz, Flugkraft in goldne Ferne, und häng den Kranz, den vollen Kranz mir höher in die Sterne. WENN ICH STERBE Legt rote Rosen mir um meine Stirne, im Festgewande will ich von euch gehn, und stoßt die Fenster auf, daß die Gestirne mit heiterm Lächeln auf mein Lager sehn. 74 Und dann Musik! Und während Lieder schallen, von Hand zu Hand der Abschiedsbecher blinkt, mag mählich über mich der Vorhang fallen, wie Sommernacht auf reife Felder sinkt. WAS WILL ICH MEHR! Noch halt mit beiden Händen ich des Lebens schöne Schale fest, noch trink und kann nicht enden ich und denk nicht an den letzten Rest. „Doch einmal wird die Schale leer, die letzte Neige schlürftest du." So trank ich doch, was will ich mehr, dem Tod ein volles Leben zu. WIR ZWEI Wir haben oft beim Wein gesessen und öfter beim Grog. Beim Pfandverleiher lag indessen der Sonntagsrock. Wir haben die lustigsten Mädelgeschichten ausgetauscht, an Abenteuer und an Gedichten uns weidlich berauscht. Wir haben, o je, von unsem Schulden uns vorgeklagt, vertranken dabei den letzten Gulden: nur nicht verzagt! Wir haben uns immer zusammengefunden, wars Wetter schlecht; und waren die greulichen Wolken verschwunden, dann erst recht. 75 Wir sind zwei Kirschen an einem Stengel, ein Zwiegesang, ein Kanon, wie er von Bach bis Klengel noch keinem gelang. Wir sind zwei Schelme. Wenn sie uns fangen, Philistergericht, wir müssen an einem Galgen hangen, sonst tun wirs nicht. SCHULD Schuldlos oder schuldig? Wer will bestimmen, wo die ersten Funken verborgen glimmen. Ein einziger Lufthauch entfacht die Flammen. Wer mag zum Schaden auch noch verdammen? AUSBEUTE Bei Tagesanbruch singt das Herz und lacht: heut wird dein Segen unter Dach gebracht. Der Abend kommt, zu sehen, was es sei: in hohler Hand ein Körnchen oder zwei. TAG. UND NACHTGLEICHE Wenn sich nun die Tage neigen furcht die längeren Schatten nicht: Nächte werden Sterne zeigen, unerschöpflich ist das Licht. 76 DER GESTIEFELTE KATER Das Epos vom gestiefelten Kater schließt sich eng an das fran* zösische Kindermärchen an, hat aber nichts von dem galanten fränkischen Ton bewahrt, sondern spricht niedersächsisches Leben und Wesen aus. Bekanntlich hat der jüngste Sohn Hans bei der Teilung des väterlichen Erbes nur den Kater Hinze erhalten. Aber dieser entpuppt sich ihm als mit menschlicher Sprache be? gabt und erhält auf seinen Wunsch von Hans ein paar tüchtige Schaftstiefel. Sie gehen zusammen auf die Wanderschaft, auf der Hinze den Plan faßt, seinen Herrn in der Welt zu hohem An* sehen zu bringen. Er legt sich auf den Fang von Rebhühnern und bringt sie dem König des Landes, der ein großer Feinschmecker ist. Am Hofe hört er, daß der König mit seiner Tochter eine Spazierfahrt nach dem Waldsee machen will. Wie großartig er diese Gelegenheit nutzt, zeigt der nachfolgende neunte Gesang. Am Schlüsse desselben hat Hans es nicht mehr weit zur Hoch? zeit. Hinze verspeist nur noch den Zauberer, der sich auf seine Bitten in eine Maus verwandelte, und macht Hans dadurch zum Herrn des Schlosses und der durchfahrenen Ländereien. Der alte König ist des Regierens müde und übergibt Hans Krone und Zepter, und wir nehmen die tröstliche Gewißheit mit, daß der arme Müllerbursche, vom Kater unterstützt, ein guter Landes* und Hausvater werden wird. Neunter Gesang „Jetzt, Hans, gilt es," rief Hinze, „hier ist der Seel Aus den Kleidern flink, und hinein T* „In den See? In das Wasser?" entsetzte sich Hans da. „Ja, in den See und sofort I Mach rasch! Deine Kleider verstecken wir im dichten Gebüsch, und du badest. Kommt dann des Königs Wagen heran, und ich mein, ich höre ihn schon, ruf ich Hilfe! 11 ruf laut Diebel und bringe den König zum Halten und klage." „Aber Hinze, ich weiß nicht," rief Hans. „Dann bist du ein Esell" zürnte da Hinze. „Mensch, ich beschwör dich, gehorch!" Und er riß ihm hastig die Jacke vom Leibe und half ihm sich eiligst entkleiden, stieß ihn beinah in das Wasser und barg die zum Bündel geballten Kleider tief im Gebüsch. Dann hub er sogleich an zu jammern: Hilfe! Diebe! Räuber! Und schon erdröhnte der Hufschlag, klangen die Schellen, und knirschten die Räder des goldenen Wagens näher, und herrlich erschien der König. Ihm saß die Prinzessin lieblich zur Seite, der Mohr stand steif hintenauf, und es lenkte hoch vom Bock der Kutscher mit mürrischer Miene die Füchse, vier an der Zahl; die warfen die Köpfe und wollten nicht stehen. Hinze aber verdoppelte jetzt sein Gejammer und klagte. Und es erkannte der König den schreienden Hinze, erkannte ihn an den Stiefeln, befahl dem Kutscher zu halten und fragte, was es denn gäbe. Ja, er stieg aus und erzeigte sich freundlich, denn er gedachte der Hühner und wollte sich Hinzens versichern. „Ach, Herr König, es badet im See dort mein gnädigster Herr, der Graf von Carabas," wehklagte Hinze, „nun haben ihm Diebe 78 frech seine Kleider gestohlen. Nun sitzt er im Bade und kann, ach nimmer heraus." „Der gnädige Herr, dein Graf? O, die Wichtel Hängen sollen sie," rief der König, „sowie wir sie haben. Aber es holt der Herr Graf sich inzwischen den Schnupfen im Wasser. Das sei ferne 1" Er sprachs und befahl dem Vorreiter: „Eilel eile sofort mein Sohn und hol aus dem Schlosse uns Kleider, aber die feinsten, verstehst du? Sage, es brauche ein Graf sie." Und es enteilte der Reiter ins nahe Jagdschloß. Indessen führte der König Hinze höchstselbst an den Wagen und stellte ihn der Prinzessin vor. Die lächelte gnädig und nickte aus ihrer goldenen Kutsche heraus und flötete lieblich und mit dem zierlichsten Mündchen ein „oh" und sagte nichts weiter, lächelte nur und sah auf den See. Hier wurd es inzwischen Hans empfindlich kalt in dem weit überschatteten stillen Waldgewässer. Er wagte ja nicht sich zu rühren, er mochte hier vor den Ohren der Jungfrau nicht plätschern und plantschen. Er schämte sich seines Zustandes gründlich. Er hatte, vom Buschwerk verborgen, alles gesehen und alles gehört und dachte, was brockt dir Hinze da ein. Doch gilt es nun Graf sein! Hier kannst du nicht bleiben, oder du stirbst an erstarrendem Frost noch zur selbigen Stunde. 79 Und er sah durch das schlanke Gezweige die holde Prinzessin, und sie gefiel ihm. So hatte noch niemals ein Weib ihm gefallen. Aber es löschte erbärmlich das eisige Wasser sogleich die jäh erwachende Glut, und er zitterte kläglich und bebte. Als nun die Kleider gebracht, goldfunkelnde, wie sie ein Prinz trägt, wandt die Prinzessin sich ab, und es trat auch der König beiseite, auch die Diener sahen gesittet zu Boden. Mit tiefem Bückling nahte jetzt Hinze dem badenden Hans sich, die Kleider über dem Arm, und sagte so laut, daß alle es hörten: „Gnädigster Graf, es geruhn Majestät aus der immer bereiten Huld ihres Herzens Euch Kleider zu schicken. Bedecket nun bitte, gnädigster Herr, Eure Blöße und wollet Euch zeigen. Die Diebe dachten es böse zu machen; aber es wendet sich alles herrlich zum Guten." So redete Hinze und half wie der beste Kammerdiener Hans in die Kleider. Da stand er nun wirklich wie ein Prinz, der eben noch nackt wie ein Frosch sich im Wasser ängstlich verbarg. „Jetzt halte dich, Hänschen," so raunete Hinze, „rede vor allem nicht viel. So vornehm als möglich. Und alles, was ich auch mache, läßt du geschehen. Verstehst du? So komm denn!" Und es führte ihn Hinze zum König. Der staunte, so stattlich 80 zeigte sich Hans in der reichen Gewandung. Und freundlich begrüßte, allen vernehmlich, der König ihn also: „Wir freuen, Herr Graf, uns, Ihre Bekanntschaft zu machen und gleich Euer Liebden zu dienen. Manches hörten wir schon von Eurem Ruhm. Und die Hühner, Marga, die Hühnerl" Es wandte der König sich zu der Prinzessin. „Sieh! mein Kind, der Herr Graf von Carabas. Rücke ein wenig, daß der Herr Graf zu uns in den Wagen steigt. Bitte, nein, bitte I Keine Umstände weiter. Wir fahren spazieren. Wir essen heute Forellen zum Abend. Essen Sie mit unsl Sie essen gerne Forellen? Wir haben sie frisch aus dem See." Und der König setzte sich breit der Tochter zur Seite, und Hans nahm dem schönsten lieblichsten Wesen der Welt gegenüber verschämt auf dem roten seidenen Kissen Platz. „Hühr* sagte der König gemütlich, „noch ein Stündchen ins Blaue, Johann, wir fahren spazieren." Ja, da saß nun Hans in der goldenen Kutsche des Königs; traumhaft war es ihm schier. Er starrte nur immer den König an und starrte mit staunenden Augen auf die Prinzessin. Was war Hennings Grete gegen die Holde. Ein Mehlsack gegen ein zierlich gesticktes, seidenes Täschchen. Ach Grete I 6 81 Gretel Der Name allein schon wie gräßlich. Gretel Wie klang da Marga so anders. Er hörte den lieblichen Namen noch niemals. Marga! Ja Marga, so heißen nur Königinnen, es heißen nur Prinzessinnen so. Was Hinze wohl glaubte, der Gutel Rede zu viel nicht! Als ob sich die Zunge so leichtlich hier löse, ja, als ob nicht das Wort in der würgenden Kehle erstürbe. Auch die Prinzessin war schweigsam, errötete einzig und nickte, während der König sprach, von Rebhuhn sprach und Forellen, Trüflfelpüree und Sardinen, von Stangenspargel und Schinken, Schildkrötensuppe und Eis ä la Pückler und indischen Nestern. Und es tanzten im Fluge die Bäume vorüber und Felder, Wiesen, Wälder und See, doch Hans sah nichts von der Gegend, hörte nichts von den Reden des Königs, er blickte nur immer auf die Prinzessin und dachte, wie kann ein Mensch nur so schön sein. Also glänzte nun Hans in der goldenen Kutsche des Königs, Hinze aber, zu Fuß, lief hastig desselbigen Weges, immer dem Vorreiter noch hundert Schritt im voraus. Wahrlich, er wunderte selbst sich der Sprünge. Aber es finden immer die größeren Zeiten die größeren Seelen gerüstet. Flügel scheinen der Schwalbe noch einmal zu wachsen, der schnellen, 82 jagt sie der Sperber, aber des Räubers pfeilenden Flug auch schärft die Kraft des Begehrens. Also trugen auch Hinze jetzt die federnden Füße beschwingter dem Ziel zu. Es reiften während des Springens geniale Entschlüsse ihm vollends. Es kreißte sein gebärender Geist in stürmischen Wehen. Es war ihm nur in Dumpfheit bewußt, es gestalte sich Großes. Der Geist ist über dir, Hinze! Du fühlst esl Und wirklich, er war wie besessen. „Folge mirl" herrschte er, rückwärts rufend, den führenden Reiter atemlos an; „wir passieren die Grenze! Hier sind schon die Felder meines Gebieters, des Grafen von Carabas. Über ein kleines hebt sich das Schloß aus dem Garten." Es staunte der Reiter gewaltig, staunte der Kutscher. Sie wußten vom Zaubrer, scheuten die Grenze, wäre der Graf und der Zauberer eins? Es war nicht unmöglich! Wer hat sonst einen redenden Kater zum Diener? Doch Hinze ließ den Verzagten nicht Zeit. Er stürzte zurück an den Wagen, winkte Halt und redete also mit Würde: „Vergebung! Huldvoll geruhn Majestät vielleicht mich zu hören. Die Gegend hier ist schon gräflich. Schon sind wir in gräflichen Landen. Dies alles eignet dem gnädigsten Herrn von Carabas. Wenn Sie befehlen, fahren wir weiter zum Schloß." 6* 83 Es erstaunte der König, erstaunte mehr die Prinzessin. Heftiger aber wunderte Hans sich. Scharf doch traf ihn Hinzens Blick, und er neigte nur stumm das Haupt vor den fragenden Augen des Königs. Der nahms als Bejahung. Und schon redete Hinze hastig und heftig: „Ich bitte sehr Majestät, ein wenig gemächlich zu fahren. Ich eile unterdessen voraus und bereite im Schloß den Empfang vor." Und schon war er davon und verschwand um die Ecke. Da fuhr nun Hans mit dem König durch seine Besitzung. Ei, wie er reich warl Hinze verschenkte die Welt, so schiens, und man durfte nicht mucksen. Ist das ein Spaß, dachte Hans, nun gut, ich will ihn nicht stören, ist es doch Ernst, um so besser. Ich wäre der Narr, ders verspielte. Und so war er denn Graf und Herr über Wälder und Felder, nickte bescheiden, wenn laut der König den Reichtum des Waldes, wenn er die fruchtbaren Felder lobte. Es saß die Prinzessin lieblich errötend dabei und sagte mal oh und mal ah und lächelte hold. So fuhren sie langsam durch gräfliche Lande. Hinze raste inzwischen dem Schloß zu; komme, was komme 1 Wo er Leute am Weg traf, wo auf den Feldern, da rief er schon von weitem: „Der König kommt! Hört ihr? Und fragt er, wem diese 84 Felder gehören, so sagt ihr, dem gnädigen Herrn, dem edlen Grafen von Carabas. Hört ihr? So will es mein Herr und der eure, will es der große Zauberer. Also gehorchet! Sonst wehel" Und es sahen die Leute den Kater in Stiefeln und sagten: „Läuft er in Stiefeln, so ist er beglaubigt. Wo laufen wohl anders Katzen gestiefelt? Es ist ganz sicher der Peter vom Schlosse, solchergestalt vom Herren verwandelt, oder der August." Und so gehorchten sie Hinzen und zogen die Mützen und riefen, als nun die goldene Kutsche vorüberkam: „Vivat dem König! Hoch der Graf von Carabas! Hoch!" Und es nickte der König freundlich, es nickte errötend die holde Prinzessin, nur Hans saß steif wie ein Stock. Er dachte, bist du schon Graf und Gebieter, willst du auch stolz sein; es möchten die Leute sonst wenig dich achten. Und es nickten alsbald auch der König und die Prinzessin ebenso steif; denn sie schämten vor Hans sich, daß er noch stolzer, daß er noch fürstlicher war als sie selbst. Ihr Respekt wuchs gewaltig, und es dachte der König im stillen: Dieser famose Herr von Carabas ist dir ein Mann nach dem Herzen. Er weiß sich sehr zu benehmen. Könntest du den zum Schwiegersohn kriegen. 85 DER SANDWEG Ein neuer, ganz einsamer Weg, der Durchstich eines hochgelegenen Gemüsefeldes, lockt mich. Ich gehe in der tiefen Wegmulde, zwischen den schräg abfallenden gelben Sandwänden. Die Hitze steht in dem kleinen Engpaß, schwüle Sommer vormittagshitze. Über den Rand der dünenartigen Wälle lugen vorwitzig Kohl^ köpfe und hochrankende Bohnen. Ein betäubender Resedaduft strömt von rechts her, von wo der Zitronen»» falter, wie betrunken, herübertaumelt. Irgendwo zWu sehen den Gemüseanlagen müssen Blumenbeete sein. Der Himmel ist ganz wolkenlos, tief blau. Und eine große Stille ist ringsum, eine nachdenkliche Stille, wie mit dem Finger an den Lippen. Und jetzt kommt es, überfällt mich, wie neulich vor dem jungen Birkenbäumchen. Bist dus? Du bists, wir verstehen uns. Mit wem rede ich? Es ist etwas da draußen in der Natur, etwas, das zu mir gehört. Welches Sehnen nacheinander, alle die Tage, alle die kranken, wehen Stunden, und dann auf einmal: Gefunden, da bist du ja! Diese Seligkeit, dieses stille, innige, gar nicht zu be*» schreibende Entzücken. Die ganze Seele ein Freuden»» gefühl. Ich greife in den warmen Sand, und lasse ihn lang*» sam, zärtlich durch die Finger gleiten. Und ich liebäugele förmlich mit jener großblättrigen Kohlstaude da oben am Feldsaum, mit dem zitternden, zierlichen Spargelkraut, mit dem graziösen Bohnengerank. Es ist ein so ruhiges, sattes, großes Glück. Morgen, übermorgen und viele Tage noch gehe ich wieder diesen Weg. Aber dann ist es ein Weg wie andere, nur sandiger, öder, langweiliger. Und es ist nicht da, mein Eigenes, mein Seelenteil, mein anderes Ich. Vielleicht ist es drüben in jenem bläulichen Dunst am Horizont, und ein ziehendes, pressendes Sehnen sagt es mir: „Dort, dort! wo du nicht bist." 86 DER ÜBERFALL Himmel und Meer sind fahl, schmutziggrau, und ein sonderbarer, pfeifender Ton ist in der Luft, als er ans Land steigt, Zotteln von Seetang und Algen um Schenkel und Schulter, als hätte er lange in der Tiefe gelegen oder wäre durch eine Krautinsel geschwommen. Das triefende Gerippe glänzt matt in dem stumpfen Licht, das durch den dunstigen Wolkenschleier dringt. Der Strandkies knirscht unter den fleischlosen Fersen, und der glatte, feuchte Sand weiter oben schwabbt und quabbt und verschlingt gierig die scharfen Knöcheln abdrücke. Nur das aufquellende Wasser bezeichnet einen Augenblick die Spuren. Hier, da, zerbricht mit feinem, knackendem Klang eine dünne kalkige Muschelschale unter seinem Fuß. Mit zwei Schritten erklimmt er den Deich. Der re^» gungslose Strandhafer reicht ihm bis ans scharf gebogene rechte Knie. Das linke Bein steht tiefer, fest aufgestemmt, und während er vorgebeugt auf das schlafende Dorf hinablugt, streift er mit der Linken wie spielend die trockenen Haferrispen von den langen, feinen Halmen und zerreibt sie zwischen den Knöcheln. Tropf — tropf — leckts in immer längeren Pausen aus dem braungrünen Pflanzengeschlingel, das ihm wie ein zerfranster Schurz um die Lenden klebt. Kaum erkennbar im Zwielicht heben sich unten die Dächer und die Obstbaumkronen gegen die Nacht ab. Drei gespenstige Pappeln, dicht nebeneinander, die mittlere fast kahl, überragen eine langgestreckte, schwarze Masse, das Dach der Schule oder des Wirtshauses. Es ist ganz still da unten, und nur ein einziges Fenster wirft einen schmalen, trüben Lichtschein auf eine Regen«» tonne und die Spitzen eines Stachelbeerstrauches. Langsam richtet sich der unheimliche Späher auf, wendet sich gegen die lauernde See, deren kurze, weiße Wellen jetzt überall wie unzählige Raubtieraugen funkeln, und winkt zwei, dreimal hastig mit beiden 87 Händen. Die bleichen Knochenarme scheinen im heftigen Hin und Her zu leuchten, wie schnell verflackernde Blitze. Ein Sausen kommt vom Wasser. Der Strandhafer fahrt wie erschreckt, wie in ratloser Angst durcheinan^ der und legt sich wie in wahnsinniger Furcht fast flach auf den Boden. Im Dorf schlägt ein Hund an, ein heiserer, scharfer Tenor, weithin ein zweiter, ein dritter, fast zugleich, in lang gezogenen Heultönen. Und das Meer erhebt sich. Hoch aufgerichtet steht der drohende Vernichter auf dem breiten Schutzwall. Lautlos steigt die erste mäch* tige Welle. Mit leicht gebeugtem Rücken fängt er sie auf. Donnernd stürzt sie über ihn weg und über* schwemmt die ersten Häuser. Tumult. Kreischende Weiberstimmen ringen mit dem Sturm, Lichter wehen und eine Glocke wimmert. Die Arme hoch erhoben, mit zusammengelegten Hand* flächen, erwartet der Tod, über die rechte Schulter zu* rückspähend, ein sprungbereiter Schwimmer, die zweite Woge, und mit einem eleganten Kopfsprung geht er mit den tosenden Wassern ins Dorf. DAS FAMILIENALBUM Hüstelnd, ganz in sich zusammengesunken, sitzt die alte Dame in dem tiefen, weichgepolsterten Lehnstuhl. Von schwarzem Seidenkleid umhüllt ein kleiner ver* trockneter Körper. In schneeweißer Spitzenhaube, deren grell eigelbes Band sich schreiend von dem grünen Plüsch des Sessels abhebt, ein zartes faltenreiches Ge* sichtchen. Neben der Greisin der Tod, ein älterer gutmütiger Herr mit hellem Beinkleid, schwarzem Tuchrock und goldner Brille. Er hat den rechten Arm auf die Lehne des Sessels gelegt und blättert, leicht vornübergeneigt, mit der Linken langsam, ganz langsam, Blatt für Blatt eines auf dem Schoß der Greisin ruhenden großen Albums um. Es 88 liegt etwas rührend Rücksichtsvolles in der Art des alten Herrn, dessen Erscheinen das kleine Stubenmäd* chen vorhin mit dem ihr schon geläufigen: „Der Herr Doktor" gemeldet hatte. Die alte Dame betitelte ihn dann auch beständig Herr Geheimrat. „Einen Augenblick, Herr Geheimrat. Dieses Bild noch. Meine selige Schwester." „Hier mein lieber seliger Mann. Sie kannten ihn ja, Herr Geheimrat." Und gutmütig geduldet sich der alte Herr, bis die Greisin sich satt gesehen. Langsam, ganz langsam, Blatt für Blatt, wendet er um. Nach dem letzten Bild — die Be«« trachtende kann sich schwer davon trennen, immer kommt sie wieder darauf zurück: „Meine süße Agnes, Herr Geheimrat. Sie mußte so jung sterben, kaum achtzehn Jahre. Ein so liebes, begabtes Kind", — nach diesem letzten Bild klappt er leise den silberbeschlagenen Deckel des dicken Buches zu. „Nun ruhen Sie sich aber aus, gnädige Frau." „Ja, ja, es hat mich doch angegriffen — die Augen — — die Augen " Ein Hüsteln unterbricht das feine Stimmchen. Und die Augen schließend, sich ganz zurücklegend, in sich zusammenfallend, gehorcht sie der empfangenen Mah* nung. Wie im ruhigen Schlummer sitzt sie da. Leise, auf den Zehen, geht der alte Herr durch den kleinen Salon. Vor der altmodischen Stutzuhr auf dem niedem Kaminsims bleibt er stehen, zieht seine schwere goldene Taschenuhr und tippt, die Zeit vergleichend, zwei, dreimal sachte, wie spielend mit dem Mittelfinger der rechten Hand auf das Stundenglas der Stutzuhr. Dann nimmt er vom nächsten Stuhl Hut und Hand«» schuhe. In der Tür wendet er sich noch einmal nach der Ruhenden um. Wie befriedigt nickt er, und ein un«s endlich gutmütiges Lächeln verschönt sein Gesicht. 89 DIE VILLA Rauher, schneidender Herbstwind fegte Laub und Staub. Ich weiß nicht, was mich so lange in den kahlen, traurigen Feldern aufgehalten hatte. Es war spät am Abend, als ich fröstelnd die erste einsam gelegene Villa eri:eichte. Dunkle Koniferen umgaben sie wie eine gespenstische Wache. Schwarz in Schwarz lag das Haus in dem kleinen Park hoher Bäume, in deren schatten^^ haften Kronen das welke Laub knisterte und raschelte. Nur ein Fenster im Erdgeschoß der Villa war erleuchtet, und eine wunderliche, leise, rührende Musik drang ge** dämpft auf die unwirtliche, stürmische Landstraße hin:* aus. Wie gebannt blieb ich stehen, näherte mich der hohen Buchsbaumhecke, lehnte mich an die schwarze, kunstvolle, schmiedeeiserne Gittertür, öffnete sie — alles unter dem unwiderstehlichen Bann der Musik — ging wie im Traum über den leise knirschenden Kies und schritt die drei Stufen zu der offenen, von dorischen Säulen flankierten Veranda hinan. Ungehindert über:* sah ich von hier das erleuchtete Zimmer. Eine Ampel warf ihren roten Schein durch den kleinen Raum, über die blauseidenen Tapeten, den schweren golddurchwirkten blauen Damast der Portieren, über den weichen, blau und schwarz gemusterten Teppich, der den ganzen Boden bedeckte, über die etwas verschossene, lichtblaue, gelbgeblümte Ottomane und den geöffneten Blüthner, der in der Mitte des kleinen Salons stand. Am Flügel, lässig in den zierlichen, mit dem Otto:« manenstoff überzogenen Sessel zurückgelehnt, saß der Tod, ein völlig nacktes Gerippe. Ein schmutzig weißes Laken war ihm herabgerutscht und lag, nur das rechte pedaltretende Bein bekleidend, in krausen, zerknitterten Falten auf dem Teppich. Die langen hageren Knochen^* arme fast horizontal ausgestreckt, den vom Ampellicht überfluteten blanken Schädel leicht zurückgeneigt, die leeren Augenhöhlen auf das Eichengetäfel des Plafonds haftend, ließ er die Finger über die Tasten gleiten. 90 Und welche ergreifende, überirdische Melodie lockten diese spinnenartig umherkrabbelnden Knochenhände aus den Saiten. Eine solche tröstende, das Herz wie mit weichen Liebesarmen umfassende Musik hatte ich nie vernommen. Auf dem ebenholzschwarzen Leuchterbrett des Noten^s Pultes lag eine große, voll erblühte, fast überreife Thee* rose. Auf der Ottomane aber ruhte mit geschlossenen Augen eine junge Frau. Ein kostbares, gelbes Brokatgewand umgab den schlanken Leib. Die marmorweißen, etwas mageren Arme mit den kleinen Kinderhänden ruhten gekreuzt auf dem Schoß. Die langen, blonden Wim* pem der geschlossenen Augen warfen einen leichten Schatten auf die weichen Wangen. Ein glückliches, kindliches Lächeln verklärte das reizende, von schweren aschblonden Flechten umrahmte, todblasse Gesicht. Träumte ich? Wachte ich? Ein Nachtvogel, der aus einem der hohen Bäume auf«» flog, erschreckte mich. Auch fröstelte mich, und ich hörte beständig das trockene Geraschel der welken Wip«» fei. Keine Frage, ich wachte. Immer herrlicher spielte der seltsame Kammervirtuose und nahm alle meine Sinne gefangen. Eine wundersame mystische Landschaft umgab mich. Mühelos, wie gQ^ tragen, schritt ich gerade aus, durch einen unabsehbaren Garten süßduftender Theerosen, und aus den Kelchen der Blumen schien diese zaubervolle Musik zu kommen. Auf einmal fühlte ich ein sanftes, aber nachdrückliches Schütteln am Arm. Vor mir stand ein alter, weißhaariger Diener mit sorgenvollem, wie verweintem Antlitz. „Mein Herr", sagte er mit einem Ton, der mehr Trauer als Vorwurf ausdrückte. Entsetzt sah ich ihn an: Wie kam ich in diese Veranda bei Tagesanbruch? Das Fenster war mit einem grünen Laden verschlossen. Die Bilder der Nacht wurden wieder lebendig in mir. „Gestorben?" fragte ich. 91 Verwundert, fast ängstlich musterte er mich. Wer sind Sie? Woher wissen Sie das? fragte sein Blick. Scham und Grauen trieben mich fort. Wortlos, ohne Entschuldigung. Ich wußte nachher kaum, wie ich von ihm gekommen war. 92 MALEEN Maleen war die Tochter des Waldhüters und lebte mit ihrer Mutter allein in einem einsamen Häuschen am Walde. Der Vater war gestorben, und man hatte den beiden Frauen die ärmliche Wohnung gelassen. Maleen war jetzt 18 Jahre alt und war groß und schlank und hübsch. Es war aber noch kein Freier gekommen. Arme Mädchen sind nicht gesucht. Maleen aber mochte den jungen Jägerburschen wohl leiden, der erst seit einigen Wochen im Revier war. Eines Abends saß sie vor der Tür und dachte an ihn. Die Mutter schlief schon, und Maleen konnte so recht ungestört ihren Gedanken nachhängen. Der Mond schien durch die Bäume, die so still dastanden, als ob sie auch schliefen, und die Luft war warm und mild. Da kam aus dem Walde ein großer weißer Kater, schlich sich mit gekrümmtem Buckel an den Bäumen hin, machte ein paar Sprünge vorwärts und blieb in einiger Ent^ femung vor Maleen stehen. Er richtete das zierliche weiße Schwänzchen auf, so daß es wie ein Fragezeichen stand, und miaute leise und kläglich. Es war ein ganz schneeweißer Kater, und in dem vollen Mondlicht leuchtete sein weißes Fell wie lauter Silber. „Ei," sagte Maleen, die mit allen Tieren gut Freund war, „was bist du für ein hübsches Kätzchen. Woher kommst du denn? Komm, Misch, komm, Musch. So, so, schönes Tier." Und der Kater schmiegte sich an sie und war gar nicht scheu. Maleen holte ihm eine Schüssel mit Milch und Brot, aber er rührte sie nicht an, sondern strich nur immer leise miauend um Maleen herum. „Bist du so lecker?" fragte Maleen, „oder hast du schon zu Abend gegessen? Wenn du Mäuse willst, die mußt du dir fangen. Im Schuppen werden schon welche sein." Und dann sperrte sie ihn in den Holz*« schuppen, stellte ihm das Schüsselchen mit Milch hinein und ging zu Bett. Aber sie konnte lange nicht ein»« schlafen. Sie dachte immer an den weißen Kater. Er 93 war gar zu schön, und sie wollte ihn behalten, wenn er nur bei ihr bleiben würde. Am andern Morgen war ihr erster Gang nach dem Schuppen. Der Kater kam ihr miauend entgegen und umschmeichelte sie wie am Abend vorher. Da sie sah, daß er sein Schüsselchen mit Milch geleert hatte, brachte sie ein zweites. Aber wieder ließ er es unberührt. Gut, dachte sie, du wirst schon Appetit bekommen und weißt ja nun, wo der Tisch gedeckt ist. Dann nahm sie ihn auf den Arm und brachte ihn zur Mutter. Die war so entzückt von ihm, wie Maleen. Sie beschlossen den Kater bei sich zu behalten, und Maleen nannte ihn „Putzi", weil ihrs gerad so einfiel. Und wenn sie recht lieb mit ihm sein wollte, sagte sie „Putzi, Mutzi", und nahm ihn auf den Arm und legte ihre weiche junge Wange an sein weiches weißes Fell. So gut konnte er es unmöglich schon mal irgendwo gehabt haben. Er war auch immer zufrieden und vergnügt, und immer artig und manierlich. Er lief nicht in den Wald, fing keine Vögel, und was das Wunderbarste an ihm war, er naschte nicht. Er aß nur, was man ihm vorsetzte, und Maleen konnte ruhig die Töpfe ohne Deckel lassen, er rührte nichts an. Da gewann Maleen ihren Putzi so lieb, daß sie ihn gar nicht wieder von sich lassen wollte. Sie nahm ihn sogar des Nachts mit in ihre Kammer und bereitete ihm ein weiches Lager vor ihrem Bett. Nun begab es sich, daß Maleen eines Nachts nicht schlafen konnte. Der Vollmond schien hell in ihr Kämmerlein, und sie lag mit offenen Augen auf ihrem Bett. Auch Putzi schlief nicht, sondern saß auf der Fensterbank im Mondlicht, leckte sich die Pfoten und sah dabei immer nach Maleen hinüber. Die aber hatte mit ihren Gedanken zu tun, die alle durch den mond:* hellen Wald gingen, nach einer Stelle, wo ihr am Morgen beim Himbeerpflücken der junge Jäger begegnet war. Auf einmal hörte Maleen sich bei Namen nennen. Sie horchte verwundert auf. 94 „Maleen", klang es nochmals. Sie richtete sich auf. Wer sprach da? „Maleen, ich bins." „Du, Putzi?" Mit beiden Füßen schnellte sie aus dem Bett, blieb aber auf dem Rande sitzen und sah halb neugierig, halb furchtsam nach dem Fenster. „Verwundere dich nicht", sagte Futzi. „Einmal im Jahre ist es mir vergönnt, zu sprechen. Und heute Nacht, in dieser Stunde, ist die Zeit gekommen. Ich bin nämlich ein verzauberter Prinz, und vielleicht kannst du mich erlösen." „Ein Prinz?" rief Maleen. „Ja, ich bin von meiner bösen Stiefmutter aus Strafe für eine Näscherei in eine Katze verwandelt worden. Sie hatte so schöne Kirschen, eingemachte schwarze Kirschen. Ißt du die auch so gern?" „Morellen, nicht wahr?" sagte Maleen, „das glaub ich, die schmecken." „Ja," sagte Putzi, „und sie wollte sie alle für sich allein haben." „Wie garstig und geizig." „Ja, so war sie immer." „Und kann nichts dich erlösen?" fragte Maleen. „Einmal im Jahr," fuhr Putzi fort, „wenn ich in der Vollmondnacht auf ein junges reines, unschuldiges Mädchen treffe, das mit mir in der gleichen Stunde geboren ist, gewinne ich meine Sprache wieder. Erlöst aber kann ich von dir nur werden, wenn du noch nie im Leben genascht hast." „Ach," sagte Maleen, „daß ich dir nicht helfen kann. Als ich klein war, hat meine Mutter mich oft für meine Naschhaftigkeit bestraft, und ich war schon ein sechs» zehnjähriges großes Ding, als sie mich einmal beim Pflaumenmus ertappte. Da schämte ich mich so, daß ich seitdem nie wieder genascht habe. „Es ist doch traurig," sagte Putzi, „daß ihr Mäd* chen soviel nascht. Es wird kein Mädchen geben, das mich erlösen kann." 95 „Das glaube ich auch", sagte Maleen kleinlaut. „Aber gibt es denn gar kein Mittel, dich zu entzaubern?" „Ich weiß keins", sagte Putzi. „Aber ich weiß einen alten Zauberer, der wohnt mitten im Wald an einer versteckten, unheimlichen Stelle, vielleicht kann der dir ein Mittel sagen." „Mir graut", sagte Maleen. „Kannst du ihn nicht selbst fragen?" „Ich kann ihm ja nicht sagen, was ich will." „Das ist auch wahr, du bist ja für gewöhnlich stumm." „Würdest du mir nicht die Liebe erzeigen?" bat Putzi zaghaft. „Lieber Putzi, wie soll ich denn nur dahin finden?" „Den Weg will ich dir schon zeigen, wenn du es morgen nacht mit mir wagen willst." Und Putzi sprang von der Fensterbank herab und auf Maleens Schoß, schmiegte sich an ihre junge Brust, ringelte sein seidenweiches Schwänzchen um ihren Hals und sagte : „Bitte, bitte, liebe gute, wunderschöne Maleen." Da würde Maleens gutes Herz gerührt. „Wenn ich wirklich so lieb und gut und wunderschön bin, darf ich wohl nicht nein sagen." Dabei stand sie auf, so daß Putzi in weitem Bogen von ihrem Schoß sprang, ging in der Kammer hin und her, blieb vor dem Spiegel stehen und sah beim Mondlicht ihr Gesicht darin. Es war ihr altes bekanntes Gesicht. Ob sie wirklich so wunderschön sei, wie Putzi sagte? Sie möchte es schon, des Jägers wegen. „Was bekomme ich denn, wenn ich dich erlöse?" fragte sie. „Liebe Maleen," sagte Putzi innig und stürmisch, „du sollst alles — miau," schloß er kläglich. Seine Zeit war um, und er konnte nicht mehr sprechen. Das war ärgerlich, aber Maleen war nicht habgierig und hatte die Frage nur so obenhin getan. Sie hatte ein viel zu gutes Herz, um bei einer guten Tat an den Lohn zu denken. 96 Es war eine schöne helle Mondnacht, als Maleen und Putzi sich auf den Weg zu dem Zauberer machten. Die Mutter wußte nichts davon, schlief schon und schnarchte, daß man es durch die Wand hören konnte. Putzi zeigte Maleen den Weg. Er war ganz aufgeregt und sprang immer in großen Sätzen um sie herum, eilte auch wohl voraus, aber nur so weit, daß sie ihn im Auge behalten konnte. Das Mondhcht fiel durch die Bäume und malte allerlei wunderliche Schatten auf den Boden. Maleen, die im Walde aufgewachsen war, fürchtete sich nicht, wenn es manchmal aussah, als läge eine große schwarze Schlange quer über den Weg, oder als stände ein wilder Mann dort mit einer erhobenen Keule, oder irgendein wunderbares Tier, das sie fressen zu wollen schien. Dann und wann drang ein Laut aus der Feme herüber, wenn ein Reh durchs Gestrüpp eilte, ein Fuchs durchs Unterholz schlich, eine Taube gurrte, oder ein Käuzchen rief. Es waren viele Stimmen im Walde, aber Maleen kannte sie alle. Nach und nach wurde der Wald dichter. Maleen kannte den Weg nicht mehr. Aber sie fürchtete sich nicht. Als aber der Wald zuletzt so dicht wurde, daß kein Mondstrahl mehr hinein konnte, schlug ihr doch das Herz. Putzi, der sehr gut im Dunkeln sah, huschte wie ein weißes Gespenst durch die Finsternis. Er blieb auch dann und wann stehen und sah, ob Maleen auch mitkommen konnte. Einmal trat sie ihn aus Versehen auf den Schwanz. Da schrie er so kläglich, daß sie ganz ängstlich und vorsichtig kaum mehr zutreten mochte. Zuletzt wurde es so dunkel, daß sie ihn nicht mehr sah. Da miaute er, damit sie sich nach seiner Stimme richten konnte. So kamen sie endlich an Ort und Stelle. J9 Es war ein kleiner freier Platz, in dessen Mitte eine alte abgestorbene Eiche stand, die war so dick, daß hundert Mann sie kaum umspannen konnten, und war ganz hohl. In diesem hohlen Baum wohnte der alte 7 97 Zauberer. Er hieß Muckimack. Das wußte aber Maleen nicht, weshalb sie ihn immer Herr Zauberer anredete. Putzi freiUch wußte es, aber er hatte vergessen, es Maleen zu sagen. Muckimack saß vor seinem Baum und las beim Mondschein in einem großen Buch, das zwei Eich* hörnchen hielten. Auf seinem Kopf saß ein Rabe, der hatte eine Brille auf. „Wer bist du, und was willst du hier?" fragte Muckimack. „Ach Herr Zauberer," antwortete Maleen zaghaft, „seid nicht böse, wenn ich Euch störe. Ich habe eine Bitte." „Wer bist du denn?" „Ich heiße Maleen, und dies hier ist Putzi." „Sehr wahr, sehr wahr, ganz außerordentlich wahrl" rief der Rabe und flog auf den Baum. Und dann erzählte Maleen Putzis traurige Geschichte. „Ja," sagte Muckimack, „helfen kann ich dir wohl, aber das ist eine schwierige Sache, viel schwieriger, als bitte, bitte sagen. Aber höre. Eine halbe Stunde von hier, mein Rabe wird dir den Weg zeigen, steht ein alter schwarzer Turm, und in dem Turm, ganz oben in der höchsten Kammer, steht in einem goldenen Topf eine Rose auf dem Tisch. Die mußt du holen. Es kann sie aber nur eine holen, die noch nie einen Mann geküßt hat. Wie ist das mit dir?" Da wurde Maleen sehr rot, konnte aber mit gutem Gewissen nein sagen. „Gut", sagte Muckimack. „Dann bist du die Rechte. Es sitzt aber an dem Tisch einer, der wird dich fragen, wie du heißt. Da mußt du sagen, ich heiße „Schiel:« äuge". Dann wird er dich fragen, wie alt du bist. Dann mußt du sagen, über hundert Jahre alt. Dann wird er dich fragen, was du von ihm willst. Die Rose, mußt du sagen. Aber er wird sie dir nicht geben wollen. Dann mußt du ihn an den Kopf schlagen, und er läßt dich gehen. Auch sonst darfst du dich durch nichts 98 beirren lassen, was dir auch in dem Turm begegnet. Denn hast du die Rose nicht, kann alles, was ich dir raten kann, nichts wirken. Also hole erst die Rose, oder dein Prinz bleibt sein Leben lang ein Kater." „Sehr wahr, sehr wahr, ganz außerordentlich wahr", rief der Rabe. Da ging Maleen, und der Rabe flog voran und zeigte ihr den Weg. Putzi mußte indessen bei Muckimack bleiben, wo sich die Eichhörnchen um ihn bemühten. „Ich heiße Zippedipp", sagte das eine Eichhörnchen. „Und ich heiße Zappedipp", sagte das andere Eich«« hörnchen. „Und wie heißt du?" „iVliau", sagte Putzi. „Das ist keine Antwort", sagte Zippedipp. „Kannst du nicht sprechen?" „Miau". „Das gibt keine Unterhaltung," sagte Zappedipp und hüpfte auf den Baum. Und Zippedipp hüpfte auch auf den Baum und warf Putzi mit einer Haselnuß ge* rade auf die Nase. Der meinte, das Spiel wäre so, schlug mit der Pfote nach seinem Naschen, machte einen Sprung und stürzte sich auf die Nuß, als ob es eine Maus wäre. „Ißt du auch Nüsse?" fragte Zippedipp. „Warte, hier sind mehr." Damit sprang es vom Baum und holte aus einer Ecke eine Menge Nüsse hervor, und Zappedipp kam auch und pries sie an. „Miau", sagte Putzi und wußte nicht, was er mit den vielen Nüssen anfangen sollte. „Laß ihn," sagte Zippedipp, „man kommt nicht mit ihm in Tritt." „Nein," sagte Zappedipp, „man kommt nicht mit ihm in Tritt." Und dann schlüpften sie beide in den hohlen Baum und ließen Putzi draußen stehen. j^ Maleen war indessen nach dem Turm gekommen. Es 7» 99 war ein hoher, schwarzer Turm, und Maleen empfand Grauen. Aber die Tür stand auf und schien zum Eintreten einzuladen. Da ging Maleen hinein. Da sagte eine Stimme: Maleen, Maleen hüte dich, alle Rosen stechen. Maleen, Maleen hüte dich, willst du den Zauber brechen. • Maleen wußte nicht, woher die Stimme kam. Aber sie ließ sich nicht irremachen und ging die Treppe hinauf. Es war eine schmale Wendeltreppe, die führte durch den ganzen Turm. Die Mauern zu beiden Seiten aber waren Spiegel, und Maleen sah rechts und links ihr Spiegelbild mit die Stufen hinaufsteigen. Wie er# staunte sie aber, als sich ihr Spiegelbild mit jeder Stufe veränderte. Je höher sie stieg, je älter und kleiner und häßlicher wurde sie, und als sie ganz oben angelangt war, war sie ein altes, krummes Mütterchen mit einer großen, spitzen Nase. Oben aber saß ein schöner Jüngling am Tisch, und auf dem Tisch stand in einem goldenen Topf eine wunderschöne Rose, die duftete ganz herrlich. Der Jüngling aber stand auf und sah sie an. Da meinte sie , es wäre der Jäger, so ähnlich sah er diesem. Und gewiß, er war es selbst. „Wer bist du und wie heißt du", fragte der Jüngling. „Ich heiße Schielauge", sagte Maleen und erschrak über den Klang ihrer Stimme, so alt und zitternd und meckernd war er. „Und wie alt bist du, du bist wohl schon recht alt?" „Hundert Jahre alt", sagte Maleen. „Und was willst du hier?" „Diese Rose", sagte Maleen. „Die Rose kannst du nicht bekommen, die ist nicht für dich, die ist für die schöne Maleen." „Gut", sagte Maleen und griff nach dem Blumentopf. Rasch sprang der Jäger auf und wollte ihr den Topf wieder entreißen, aber sie schlug ihn an den Kopf. Da fiel ihm der Kopf von den Schultern, rollte über den Tisch, blieb hart am Rande liegen und sagte: 100 Maleen, Maleen hüte dich, alle Rosen stechen. Maleen, Maleen hüte dich, willst du den Zauber brechen. Da entsetzte sich Maleen und lief so schnell als sie konnte die Treppe hinab. Sie sprang ordentlich, immer zwei Stufen auf einmal, und achtete gar nicht auf ihr Spiegelbild. Nur als sie unten angelangt war, sah sie im Spiegel, daß sie wieder jung und in ihrer natürlichen Gestalt war. „Gott sei Dank," sagte sie, „daß es geglückt ist." „Sehr wahr, sehr wahr, ganz außerordentlich wahr," rief der Rabe, der solange auf einem Baum gesessen hatte. Er flog wieder vor Maleen auf und brachte sie zu dem Zauberer zurück. Putzi sprang ihr in großen Sätzen entgegen und war ganz ausgelassen vor Freude. Er kugelte sich wie ein Spielkätzchen am Boden und betrug sich so, daß so* wohl Zippedipp als Zappedipp sagten: „Wie kindisch!" Mucldmack aber sagte freundlich zu Maleen : „Gut, nun du die Rose hast, kann dir auch mein Rat nützen. Nur mußt du nicht vergessen, die Rose sorgsam zu pflegen, denn geht sie aus, ist die Kraft meines Gegenzaubers gej^ brochen und dein Putzi wird im Leben kein Prinz wieder." „Sehr wahr, sehr wahr", fing der Rabe an, aber Mucldmack machte eine Bewegung mit der Hand, er solle den Schnabel halten. „Pflegst du sie aber," fuhr er zu Maleen fort, „so wird sie dir Zeit deines Lebens die schönsten Rosen tragen und wenn du hundert Jahre alt werden solltest." „Sehr wahr," rief der Rabe und hüpfte ein wenig zurück und schielte nach Mucldmack. Der aber ließ sich nicht stören und fuhr fort: „Höre nur zu, was ich dir sage. Es gibt nur dies eine Mittel, deinen Prinzen zu erlösen. Du darfst ein ganzes Jahr lang nicht naschen." „O," lachte Maleen, „wenn es weiter nichts ist." „Weiter nichts ist?" sagte Muckimack. „Du nimmst es leicht. Ein volles Jahr lang darfst du nicht naschen, 101 gar nicht naschen, auch von der Liebe nicht. Verstehst du, was das heißt?" „Ach," seufzte Maleen, „es ist doch wohl schwerer als ich dachte." „Sehr wahr, sehr wahr, ganz außerordentlich wahr!" schrie der Rabe so schnell, als dachte er, diesmal sollst du doch zu Wort kommen. Und Putzi sagte „ZVüau" und strich schmeichelnd um Maleen herum. „Wenn du das durchführst," fuhr Muckimack un^» gestört fort, „dann wird es dir gelingen, den Prinzen zu erlösen, indem du ihm jeden Monat in der Voll«« mondnacht einen Kuß gibst." „Miau, Miau," sagte Putzi und schmiegte sich an Maleen, machte einen Buckel und fing an zu spinnen. „Und dann?" fragte Maleen beklommen. „Das wirst du dann sehen," sagte Muckimack, „mehr kann ich dir nicht sagen." „Sehr wahr, sehr wahr, ganz außerordentlich wahr," sagte der Rabe langsam und wichtig und flog vom Baum herab und setzte sich Muckimack wieder auf den Kopf. Da bedankte sich Maleen, nahm ihren Rosentopf und ging. Putzi sprang ganz vergnügt vorauf, und sie kamen schneller nach Hause, als sie hergekommen waren. Die Mutter schlief und schnarchte noch, als Maleen den Rosentopf in ihre Kammer hinauf trug und sich noch etwas aufs Bett legte. Putzi sprang wieder auf die Fensterbank, er war zu aufgeregt, um schlafen zu können. Er dachte an Maleens Küsse und daß er wie^ der ein Prinz werden solle. Maleen aber schlief ein, und als die Mutter sie am Morgen weckte und schalt, daß sie die Zeit verschlafen hätte, wollte ihr alles nur wie ein Traum vorkommen. Aber auf dem Tisch stand die Rose, und die Mutter wunderte sich darüber. Da mußte Maleen sich schon besinnen und erzählte alles. Die Mutter schalt wohl, daß sie sich auf dieses Wagnis eingelassen hätte, aber nun alles so weit ge^« glückt sei, könne es ihr ja auch recht sein, wenn Putzi 102 ein Prinz wäre. Am Ende würden sie mehr Nutzen von einem Prinzen haben, als von einem Kater. „Miau," sagte Putzi und sprang von der Fensterbank, und Maleen ging und holte ihm sein Schüsselchen mit süßer Milch und brockte ihm Weißbrot hinein. „Da mein Putzi," sagte sie. Und als er, von der nächtlichen Wanderung hungrig geworden, gegen seine Gewohnheit sogleich in ihrer Gegenwart sich daran machte und so recht schlürfte und schleckte und sein rotes Zünglein um den Bart gehen ließ, gedachte sie der Küsse, die sie ihm geben solle. Und ihr ward sonderbar zumut. Die Zeit bis zum nächsten Vollmond verlebte Maleen in einer wunderlichen Aufregung. Ihre Aufgabe nahm sie jetzt ganz in Anspruch. Jeden Morgen sprengte sie die Rose, und da sie so herrlich blühte und duftete, war es ihr eine Freude. Aber damit allein war es ja nicht getan. Sie sollte auch nicht naschen, und sie, die schon lange nicht mehr genascht hatte, dachte bei jedem, was sie außer der Zeit genoß, ob es auch vielleicht ein Naschen sein könnte, und sie mochte schon gar nichts mehr genießen, außer ihren täglichen Mahlzeiten. Und das Schwerste, das sie drückte, sie sollte auch nicht von der Liebe naschen. Was heißt das nun, von der Liebe naschen? Darfst du überhaupt nicht lieben? Aber sie liebte ja schon. Oder war das keine Liebe? Sie hätte die Mutter gern gefragt, was das heiße, von der Liebe naschen, aber eine wunderliche Scham hielt sie davon zurück. So selten sie den Jäger sah, so oft dachte sie doch an ihn. Das Abenteuer im Turm brachte alle ihre Sinne erst recht in Verwirrung. Sie hatte ihn geschlagen, hatte ihm den Kopf abgeschlagen, und der Kopf hatte ges» sprochen, und es hatte so traurig geklungen und so warnend. Wenn sie den Jäger doch nur einmal sehen könnte, ob er noch lebe , seinen Kopf noch habe, und was er wohl für ein Gesicht machen würde; ob er wohl 103 wisse, daß sie ihn geschlagen, und ob er es wirklich gewesen sei, der da im Turm saß. Diese Gedanken ließen ihr keine Ruhe und machten sie fast krank. Um so glücklicher war sie, als zufällig der Jäger einmal wieder an ihrem Häuschen vorüber* ging und ihr freundlicher und kecker zunickte, als sonst. Der Kopf saß ihm fest auf den Schultern, und an sei«« nem Hut steckte eine Rose, doch da er den Hut zog, fiel sie in den Sand. Er aber nahm sie und warf sie durch das offene Fenster Maleen gerade in den Schoß. Da wurde sie rot über und über, stach sich an einen Dom und lief vor lauter Verlegenheit davon. Aber wie glücklich war sie nun den ganzen Tag über. Jetzt schien es ihr auch nur ein Spaß, ihren Putzi zu küssen, und sie nahm ihn auf den Arm und gab ihm einen Kuß im voraus mitten auf sein zierliches Katzennäschen. „Miau," sagte Putzi und leckte sich das Naschen mit dem roten Züngelchen und ringelte das weiße Schwänz* chen wie im größten Behagen. Man sah es Putzi an, wie glücklich und hoffnungsvoll er war. Nur wenn der Jäger vorbeiging, und der tat es jetzt öfter, betrug er sich wunderlich, sträubte die Haare und fauchte leise. Er konnte ihn nicht leiden. Die Zeit ging hin, und es war wieder Vollmond. Da bekam Putzi in der Nacht seinen ersten Kuß von Maleen ; sie hatte ihn auf den Arm genommen. Aber kaum hatte sie ihn geküßt, als sie fühlte, daß er schwerer wurde, so schwer, daß sie ihn auf die Erde setzen mußte. Und siehe da, da stand Putzi auf zwei Menschenbeinen, die waren so lang, daß er ihr bis über die Hüfte reichte und es sah possierlich aus, wie auf diesen langen Beinen der kleine weiße Katzenleib saß, mit den kurzen Pföt* chen, dem zierlichen Kopf und dem Ringelschwänzchen. Dazu steckten die Beine in Kniehosen aus blauem Sammet, in weißen seidenen Strümpfen und schwarzen Schuhen mit goldenen Schnallen. Maleen hatte einen solchen Schrecken bekommen» 1(H daß sie sich aufs Bett setzen mußte. „Putzi, wie siehst du ausi" wollte sie rufen. Aber die blauen Sammet«« hosen und die goldenen Schnallen machten einen so großen Eindruck auf sie, daß sie gar nicht mehr Putzi zu sagen wagte, und nur eine Weile dasaß und den behosten Kater anstarrte. Putzi aber ging mit zierlichen Schritten auf sie zu, sagte „Miau" und wollte sich dankbar an sie schmiegen. Aber sie wußte nicht, wie ihr war, sie wich scheu zurück. Da sah er sie so traurig an, daß sie sich schämte, ihn auf den Schoß zog und streichelte, auch sein Höschen be* fühlte, den schönen blauen Sammet und die Spitzen daran. Nun war sie sehr neugierig, und die Mutter auch, wie es mit der Entzauberung weitergehe und wie weit sich ihr Schützling bei dem nächsten Kuß vermensch* liehen würde. Putzi durfte nun nicht mehr aus der Kammer. Was würde der Jäger oder andere Leute denken, was das für ein wunderlicher Geselle wäre, der bei den beiden Frauen im Waldhüterhäuschen logierte. Das würde ein Gerede werden. So wurde denn Putzi strenge bewacht. Im übrigen hatte er es aber womöglich noch besser als zuvor. War er doch nun ein Kater mit Hosen und war von unten auf schon ein halber Prinz. Er bekam seine Milch* Schüssel jetzt auf die Fensterbank gestellt, oder auf den Tisch, denn von der Erde konnte er jetzt nicht mehr essen. Nicht, weil das nicht prinzlich gewesen wäre, sondern weil er sich nicht mehr so tief bücken konnte, ohne sich auf die Kniee zu legen, der Mutter aber die schönen Sammethöschen leid taten. Als nun die Zeit kam, daß Putzi den zweiten Kuß haben sollte, schlief Maleen schon Nächte vorher nicht vor Aufregung; sie war zu neugierig, was jetzt wohl an dem Putzi zum Vorschein kommen werde. Aber so zärtlich sie ihm auch das Naschen küßte, es verwandelte sich nichts an ihm. Sie erschrak, und auch Putzi war sichtlich entsetzt. Wie ging das zu? Es war doch VolU mond. Hatte sie vielleicht genascht? Sie konnte sich 105 nicht entsinnen, sollte sie von der Liebe genascht haben, ohne es zu wissen? Aber nein, sie hatte den Jäger wohl noch ebenso lieb oder doch etwas lieber, ja, ward sie doch jedesmal rot, wenn sie ihn sah, heiß, wenn sie nur an ihn dachte. Aber das durfte sie doch? Ach, wenn sie doch wenigstens wüßte, wo bei der Liebe das Naschen anfinge. Nun wußte sie wirklich nicht, wie sie sich benehmen sollte. Sie wollte den Jäger gar nicht eher wiedersehen, als Putzi ein Mensch wäre. Der arme Putzi. So konnte er doch unmöglich bleiben. So quälte sie sich mit Vorwürfen und Vermutungen bis zum nächsten Vollmond. „Ah," sagte sie zur Mutter, „wenn es nun wieder nichts wird." Die Mutter sagte nichts, sondern sah sie nur so sonderbar nachdenklich und fragend an. Vielleicht hatte sie Verdacht, daß Maleen, die große Maleen, doch heimlich naschte, obgleich ihre Tüten und Töpfe alle in Ordnung waren. Aber Maleen kam noch in der Nacht an der Mutter Bett und rief: „Sieh mal, oh sieh mall" und hinter ihr stand Putzi und war wieder ein Stück größer geworden und hatte ein schöne dunkelrote Weste an und eine blaue Sammetjacke. Das Schweif chen aber hatte zwi** sehen Hose und Jacke einen Ausweg gefunden und legte sich in einem anmutigen Bogen über den blauen Sammetgürtel. „Nun will ich aber ganz gewiß nichts von dem Jäger wissen, als bis alles gelungen ist," gelobte Maleen sich. Schwer ward ihrs freilich, aber ihr gutes Herz setzte es durch. Und als nun der nächste Kuß wieder keine Veränderung brachte, wollten sich freilich wieder Ängste und Zweifel einstellen, aber sie beruhigte sich doch bei dem Gedanken, es wird eben nur jeder zweite Kuß etwas nützen. Und so war es. Das nächste Mal bekam Putzi seine Arme und Hände wieder. Er konnte sich jetzt selbst bedienen, brockte sich sein Brot selbst in die Milch, kleidete sich an und 106 aus und benahm sich ganz wie ein Mensch. Er hatte jetzt eine schöne schlanke Gestalt, der nur die Kleider etwas eng und kurz waren, und Maleen ward eigen zu«« mute, wenn sie an die Küsse dachte, die sie ihm noch zu geben hatte. Auf den Schoß hatte sie ihn schon nicht mehr genommen. Er war jetzt ebenso groß wie sie und hätte recht gut sie auf den Schoß nehmen können. Er hatte ihr in der Wirtschaft, wo er ihr be* hilf lieh war, Wasser zu tragen, und ihr sonstige Dienste leistete, mehr als einmal bewiesen, daß er über ein Paar kräftiger junger Arme verfügte, die es wohl mit einem Mädchen wie sie aufnehmen konnten. Sagen konnte Putzi freilich noch nichts weiter als miau. Aber es war doch schon ein ganz andrer Ausdruck darin, beinahe als ob ein Mensch miau sagte. j^ Maleen müßte kein Mädchen und nicht in den Jäger verliebt gewesen sein, wenn sie nicht bei den vielen Küssen, die sie Putzi auf sein Katzennäschen gab, Ver^» langen nach andern Lippen verspürt hätte. Und je menschlicher Putzi wurde, je eigner war ihr beim Küs* sen zumute, und je heftiger und inniger küßte sie ihn. Und als nun gar beim nächsten Mal Putzi seinen Arm um sie schlang, da kams plötzlich über sie. Es war ihr, als müßte sie vor Scham in die Erde sinken, und sie hätte ihn am liebsten zurückgestoßen. Aber sie mußte ja zu Ende führen, was sie angefangen hatte. Doch als sie ihn nun küßte, empfand sie heftigen Widerwillen mit ebenso heftigem Verlangen gepaart. Und als er sie freigab, schlug sie ihn, ohne zu wissen, was sie tat, ins Gesicht. Am nächsten Tag freilich schämte sie sich des Schlages. Putzi kam nicht zum Vorschein, und als sie ihn auf* suchte, hatte er seine Kammer verschlossen und wollte sie nicht einlassen. Sie bat ihn um Verzeihung. Aber er hatte nichts als ein klägliches Miau, das sie natürlich nicht verstand. Sie wurde zuletzt böse, aber es half ihr nichts, er öffnete ihr nicht. 107 „Gut," dachte sie, „wenn du maulst, ist es deine Sache. Es geht um deinen Kopf, und ohne mich kannst du nicht Prinz werden. Du wirst schon wieder um deinen Kuß betteln, und gerne noch Prügel obendrein nehmen, wenn du ihn nicht anders bekommen kannst." Aber als ihr Ärger verraucht war, schämte sie sich doch dieses häßlichen Gedankens und empfand auf* richtiges Mitleid mit Putzi. Sie wollte warten, bis er sich wieder beruhigt hatte, und ihn das nächste Mal um so zärtlicher küssen. Vielleicht bekam er auch dann schon seinen Menschenkopf wieder. Oder ob er erst sein Schwänzchen verlöre? Sie wußte nicht, was sie lieber wünschen solle. Sie war sehr neugierig, wie er wohl aussehen würde, und dann durfte sie ihn ja auch einmal wenigstens auf seinen Menschenmund küssen. Fiel aber erst das Schwänzchen, so behielt er ja bis zuletzt sein Katzennäschen, und das hatte sie ja nun schon so oft geküßt, daß es ihr keinen Spaß mehr machte. Aber dann fürchtete sie sich doch auch wieder vor dem Menschenkuß. Sie hatte ja noch nie einen frem* den Menschen geküßt. Ach, es war doch ein großer Unterschied zwischen einem Kater und einem Prinzen. j^ Maleen war dem hübschen Jäger in diesen Wochen aus dem Wege gegangen, wie sie gelobt hatte. Und nun es so nahe an der Zeit war, daß Putzi ein ganzer Mensch werden sollte, kam ein Schwanken in ihre Neigung, ein Schwanken zwischen dem Jäger und Putzi, wie sie sich ihn als Prinzen ausmalte. Sie hatte nie einen Prinzen gesehen, und ihre Phantasie hatte weiten Spiel»» räum. Das meiste an einem Prinzen dachte sie sich von Gold, und Augen müsse er haben, daß man nur so in die Knie fiel und gar nicht aufzustehen wagte. Ach, was hatte sie mitunter für herrliche Träume von goldenen Kleidern und Kutschen und Schlössern. Und dann leuchtete die Rose in ihrem goldenen Topf und erfüllte die ganze Kammer mit so herrlichem Duft, daß Maleen ganz berauscht war. 108 . Da traf es sich, daß sie einmal vor dem Hause zu tun hatte, als unvermutet der Jäger vorbeikam, sie freundlich begrüßte und ansprach, und sie ihm nicht gut ausweichen konnte, ohne ihm ein paar Worte ge* gönnt zu haben. Der junge Bursche hatte eine schöne neue Feder am Hut, ein Sträußchen Heidekraut im Knopfloch und sah so schmuck aus, wie sie ihn noch nie gesehen zu haben meinte. So wurde aus Gruß und Gegengruß ein kurzes Gespräch über Gesundheit und Wetter, und Maleenen schlug das Herz ganz anders, als dem Putzi gegenüber. Das war ein Unterschied wie zwischen Traum und Wirklichkeit. Und hatte der Jäger auch keine Augen, daß man gleich in die Knie sinken möchte, so konnte er sie doch ansehen, daß sie fühlte, sie sei doch nur ein arm schwach Mädel und er ein so stolzer Herr. So wars ihr auch jetzt. Und sie ging sogar ein paar Schritte auf und ab mit ihm, wie ein folgsames Kind, das sich nicht getraute, sich von dem großen Herrn wegzubemühen, und lächelte freundlich und bescheiden und errötete über die Maßen, als er ihr den Heide*« Strauß mit einem flotten Kompliment überreichte. Das mußte den Burschen kühner gemacht haben, denn er sagte, wenn auch leise: „O Jungfer Maleen, wie schön seid Ihr doch." Das hörte Maleen nicht ungern, sie lächelte noch verschämter und wandte den Kopf zur Seite. Da er* griff er ihre Hand und sagte : „O Jungfer, warum seid Ihr so spröde?" „Ich?" sagte Maleen verwundert. Und da sie ihm ihre Hand nicht entzog, konnte er sich auf diese Frage hin wohl das Recht nehmen, ihre Hand noch wärmer zu drücken und Maleen auf ihre Sprödigkeit zu prüfen, indem er sie sanft an sich zog und seinen Arm um sie legte. Kaum hatte er das getan, als ein durchdringendes gellendes Miau erklang, so daß sie beide auseinander*» fuhren. Und ehe sie sich dessen versahen, stürzte sich 109 Putzi, der unbemerkt das Haus verlassen hatte, auf den Jäger und würgte ihn. Maleen schrie laut auf. Und da sie sah, daß ihr Freund sich des unerwarteten An^» griffs nicht erwehren konnte, sprang sie entsetzt hinzu, und in ihrer Angst nicht wissend, wohin sie griff, zerrte sie Putzi am Schwanz. Als der sich so unerwartet an dem genierlichsten Rest seiner Katzenexistenz angegriffen fühlte, ließ er mit einem wimmernden Miau von seinem Opfer ab, fiel vornüber auf die Hände und stand da wie ein großer Kater, den das Mädchen am Schwanz in die Höhe zu ziehen suchte. Der Jäger aber, weit entfernt über diesen komischen Anblick zu lachen, wich entsetzt einen Schritt zurück und zog seinen Hirsch* fänger. Da schrie das Mädchen laut auf, ließ Putzi los und breitete beide Hände wie schützend über ihn. Dabei rief sie in größter Angst und Verwirrung: „Putzi, Putzi I Nichts tun, um Gottes willen, es ist ja Putzi I" „Putzi? Putzi? Wer ist Putzi?" fragte der Jäger. „Putzi, o Gott, das ist Putzi!" Wie sollte sie ihm alles sagen? Er wußte ja nichts von Putzi. Konnte sie ihm alles sagen? Wenn er er* führe, daß sie Putzi geküßt hätte, auf seinen Katzen* mund geküßt, würde er sie dann jemals küssen mögen? Das alles ging ihr wie ein Wirbel durch den Kopf. „Du scheinst ja sonderbare Liebhaber zu haben," sagte der Jäger kalt und spöttisch. „Mit dem Teufel konkurriere ich nicht." Damit drehte er ihr den Rücken und ging. Maleen stand wie gelähmt. Sonderbare Liebhaber? Teufel? Diese Schmach 1 Diese Schande! Putzi lag noch am Boden, das Gesicht in den Hän* den, und miaute ganz leise; es klang wie Weinen, und das Schwänzchen zitterte in heftiger Bewegung über der blauen Samtjacke. Sollte Maleen den Gedemütigten da liegen lassen? Sollte sie ihn aufrichten? Was sollte sie ihm sagen? Sie fühlte Mitleid mit ihm, aber der Arger, die Scham und ein plötzlich erwachender Trotz gewannen die Oberhand, und ihr war auf einmal, als 110 müßte sie ihn hassen, als konnte sie ihn toten. Und statt ihm zu helfen, stieß sie ihn mit dem Fuß von sich, als wäre er ein ekles Tier. Da stieß er ein klägliches, herzdurchschneidendes Miau aus, sprang auf, stürzte so schnell, wie ihn die Beine tragen wollten, in den Wald und verschwand. Sie starrte ihm nach, wollte rufen, war aber so fassungslos, daß sie keinen Ton herausbrachte. Als die Muttter hörte, was sich zugetragen, schalt sie und stellte sich ganz auf Putzis Seite. Dieser freche Mensch, dieser Hungerleider von Jägerl Maleen sollte sich nicht wieder einfallen lassen, mit ihm anzubinden. Da hätte sie auch ein Wort mitzureden. Ob Maleen sich nicht schäme. Und was nun aus Putzi werden solle. „Der arme junge Mensch," sagte sie, „wenn er sich nun ein Leid antut." „Meinetwegen," jammerte Maleen. „Was habe ich nun von aller Güte?" „Prügel verdienst du," schalt die Mutter. „Was willst du mit dem dummen grünen Jungen. Vergißt du denn ganz, daß Putzi ein Prinz ist?" „Ach, Prinz oder nicht. Und wenn er der König wäre. Nun ist alles aus!" „Dumme Gans, was ist aus? Nichts ist aus. Marsch, und suche, daß wir den lieben, jungen Menschen wieder finden." So böse hatte die Mutter lange nicht mit ihr ges« sprochen. Maleen wußte nicht, wie ihr geschah. Sie nahm die Schürze vor die Augen und fing vor lauter Scham und Aufregung an zu weinen. . „Dumme Pute," sagte die Mutter und schüttelte sie am Arm. „Willst du hier stehen und heulen, und in:* dessen tut sich der Putzi ein Leid an. Da ging Maleen mit der Mutter in den Wald, um Putzi zu suchen. Sie riefen so laut sie konnten: Putzi! Putzi! Aber Putzi kam nicht. Da ging die Mutter rechts und Maleen links. Und beide riefen ohne Auf«» hören: „Putzil Putzi! Komm doch, lieber Putzi!" 111 Als Maleen immer tiefer in den Wald kam, ohne Putzi zu finden, bekam sie doch Angst um ihn. Wenn er sich wirklich etwas angetan hätte. Im Grunde hatte sie ja auch schlecht an ihm gehandelt und durfte ihn nicht schelten. Hätte sie sich von dem Jäger küssen lassen, wäre das nicht vielleicht schon ein Naschen von der Liebe gewesen? Und dann hätte Putzi für immer mit seinem Katzenkopf herumlaufen müssen. Das wäre ja weit schrecklicher, als wenn er ein Kater geblieben wäre. Was sollte Putzi denn andres tun als dazwischen springen. Es ging ja um seinen Kopf, um sein Menschentum. Und der Jäger, pfui, wie garstig hatte er sich benommen. Nicht mal angehört hatte er sie. Vom Teufel und von sonderbaren Liebhabern hatte er gesprochen. Als ob sie so eine wäre. Nein, sie durfte Putzi um seinetwillen nicht unglücklich machen. „Putzi! Putzi!" Immer weiter lief sie, und immer lauter und angst* lieber und zärtlicher rief sie: „Putzi! Putzi!" Und das* bei gedachte sie des Weges zum Zauberer und wie Putzi immer vor ihr hergesprungen war und wie sein weißes Fell im Mondlicht geleuchtet hätte, und so ward ihr Putzi immer mehr Katze als Mensch, und sie rief ihn mit allen Schmeichelnamen. „Komm Putzi! Ei, liebes Putzichen, wo bist du? Putzi! Putzi!" „Miau," antwortete es ihr plötzlich. „Putzi!" rief sie erfreut. „Miau!" „Wo bist du?" „Miau." Und da stand Putzi an einen Baum gelehnt, die Hände vor dem Gesicht. Und als Maleen auf ihn zueilte, stürzte er vorwärts, fiel vor ihr auf die Knie, umklammerte sie mit beiden Armen und stieß ein so rührendes, klägliches und flehendes Miau aus, daß Maleen sich nicht beherr* sehen konnte. Sie fing an zu weinen, hob ihn auf, küßte ihn und sagte ihm alles Liebe und Gute, was ihr einfiel. 112 Die Mutter freute sich sehr, als Maleen mit Putzi wieder zu Hause ankam. Das erste war, daß sie eine Bürste holte und ihm sein blaues Sammetkleid von Moos und Spinngeweben reinigte. Dann holte sie schöne süße Milch und Weißbrot, und Putzi mußte sich an den Tisch setzen. Er wollte erst nicht essen und schob den Teller zurück. Aber schließlich siegte der Hunger und der Rest seiner Katzennatur, und er fing an, sichs schmecken zu lassen. Maleen und die Mutter sahen fast andächtig zu, wie er sein Tellers» chen leer schleckte, es zuletzt in die Hände nahm und mit seinem roten Zünglein so rein und blank putzte, daß Maleen es hätte ungewaschen wegstellen können. j^ Als nun Maleen Putzis wieder sicher war, nahm die Trauer um den verlorenen Jäger wieder Besitz von ihr. Wenn sie ihn doch sprechen könnte, ihm alles erklären könnte. Er mußte ja einsehen, daß er ihr Unrecht ge^ tan hätte. Aber der Jäger ließ sich nicht sehen, und ihn aufsuchen, ihm nachlaufen konnte sie doch nicht. So lebte sie die Zeit bis zum nächsten Vollmond in großer Trübsal und Niedergeschlagenheit, Putzi war scheu und verschämt. Eines fiel Maleen vor allem auf, daß er es ängstlich vermied, ihr den Rücken zuzukehren, bis sie die Ursache dieses Betragens erriet. Gewiß schämte er sich seines Schwanzes jetzt doppelt, seitdem sie sich so unzart daran vergriffen hatte. Maleen konnte nachfühlen, was in seiner Seele vorging. Sie hätte gern gewußt, was er lieber wünsche, durch den nächsten Kuß erst den Schwanz zu verlieren oder seinen Men«» schenkopf wieder zu bekommen. Sie selbst wünschte, der Schwanz möchte erst fallen, nein, der Kopf, nein — ach, sie wußte es selbst nicht. So war sie denn am Tage vor der Vollmondnacht nicht weniger aufgeregt vor Erwartung, als Putzi es selbst sein mußte. Als nun die Stunde kam, und Putzi im vollen Mondlicht am Fenster stand, schüchtern und verschämt wie ein junges Mädchen, das den ersten 8 113 Antrag erwartet, zitterte sie selbst, als sie auf ihn zuj^ trat und ihm die Hand reichte. Sie fühlte, daß er auch am ganzen Körper erbebte, und sie hörte deutlich, wie sein Schwänzchen gegen die Fensterbank fieberte, in kleinen kurzen Schlägen. Eine beredtere Sprache als jemals sein Miau gewesen war. Er wandte verschämt den Kopf ab. Ein wie zierliches hübsches Katzen* köpfchen war es doch. Es war Maleen nie so auf» gefallen. Würde sie ihn jetzt zum letztenmal so sehen? Sie hörte sein Schwänzchen heftiger und nervöser gegen die Fensterbank klopfen, und ihr Herz klopfte mit. Und jetzt mußte es sein. „Putzi," sagte sie ernst und zärtlich und drückte seine Hand. Und Putzi zitterte wie im Fieber, wandte ihr sein Katzenköpfchen zu und schloß die Augen. Und dann küßte Maleen ihn. Sie hatte auch die Augen geschlossen, und als sie sie wieder auftat, stand ein so wunderhübscher Prinz vor ihr, so wunderhübsch, wie sie sich einen Prinzen nicht gedacht hatte. Lange blonde Locken fielen ihm auf die Schultern, große braune Augen sahen dankbar und glücklich auf Maleen, und eine tiefe Röte überflammte das hübsche Gesicht. Maleen fühlte sich selbst von tiefer Glut überflammt, Sie hielt noch seine Hand. Sie wollte „Putzi" sagen, bekam es aber nicht über die Lippen. Da sagte er leise: „Maleen," fiel vor ihr auf die Knie, barg sein Gesicht in ihre Schürze und schluchzte vor übergroßer Freude. Sein silberweißes Schwänzchen lag im Mondlicht auf dem Fußboden und zitterte leise. Die Mutter wußte sich kaum zu lassen vor Über«* raschung und Freude über den schönen Prinzen. Sie sagte „Sie" zu ihm, nötigte ihn auf das Sofa und wollte durchaus Kaffee kochen, denn schlafen könnten sie diese Nacht doch nicht mehr, dazu wäre ihr das Herz zu voll. Und dabei sah sie ihn an, als hätte sie ihn auch wohl küssen mögen. Und dann tranken sie Kaffee, und der Prinz mußte erzählen. Und er erzählte alles, was er Maleen damals 114 erzählt hatte und noch viel mehr, denn jetzt durfte er ja so viel sprechen wie er wollte. Und die Mutter nannte ihn in einem fort „Herr Prinz" und nötigte ihn zum KaflFeetrinken. Er aber bat, sie sollten ihn doch „Tausendschön" nennen, denn so hieße er eigentlich. Und Maleen sagte Tausendschön und Putzi durchein^ ander, wie es ihr gerade auf die Zunge kam, die Mutter aber blieb bei „Herr Prinz" und „Euer Gnaden" und entschuldigte sich ein über das andre Mal, daß der KaflFee nicht besser sei, aber sie seien arme Leute und könnten sich keinen besseren gönnen. Maleen aber konnte sich nicht satt an ihm sehen, so schön war er, viel, viel schöner als der Jäger, und so fein und vornehm, daß sie ganz traurig wurde, wenn sie des großen Abstandes gedachte zwischen einem so schönen Prinzen und einer armen dummen Waldhüters^ tochter. Aber die Traurigkeit hielt nicht lange vor. Zwei ganze Monde hatte sie ihn ja noch bei sich, und zweimal sollte sie ihn noch küssen. O wie schön, daß er nicht erst sein Schwänzchen verloren hätte, was hätte sie denn davon gehabt. Wie freute Maleen sich nun auf den nächsten Kuß, und wie bangte ihr vor dem letzten. Der Prinz, der mit seinem Menschenkopf nicht nur seine Menschenstimme, sondern auch seinen Menschen* verstand erhalten hatte, war doch ein ganz andrer Kamerad als der Putzi. Dabei war er so harmlos und kindlich, als zählten die fünf Katzenjahre nicht mit, und als wäre er noch ein dreizehnjähriger Junge. Maleen, die aus ihrem Wald nicht herausgekommen war, war auch mit ihren achtzehn Jahren noch ein harmloses, unerfahrenes Kind, und so paßten sie gut zusammen. Tausendschön war nicht ohne Schüchternheit und Vex* legenheit ihr gegenüber. Wußte er doch jeder Einzel«» heit aus seinem Katzenleben sich zu erinnern, wie Maleen mit ihm herumgehätschelt hatte, als er noch ihr Putzi** Mutzi war, und wie er ihr auf dem Schoß gesessen hatte, als er schon ein großer Junge mit einem Katzenkopf war. 8* 115 Auch Maleen war nicht ohne Befangenheit. Sie ge# dachte ja auch aller ihrer Zärtlichkeiten gegen ihn und hatte mehr als einmal Lust, ihn wie den Putzi zu um# halsen und zu küssen. Aber das ging nun doch nicht mehr an. Oft ertappten sich ihre Blicke, und verrieten sich ihre Gedanken. Dann wurden sie rot, und es war mit der harmlosen, kindlichen Unterhaltung vorbei. j^ Eines Tages gingen sie zusammen in den Wald, nicht weit vom Häuschen weg, aber doch weit genug, um allein zu sein. Tausendschön hatte Maleen allerlei aus seiner Kindheit erzählt. Von seinem Vater, dem König mit den vielen Schlössern, und von seiner bösen Stief* mutter. Dann hatten sie Erdbeeren gepflückt, und dann hatten sie sich auf den Rücken ausgestreckt, um ein wenig zu schlafen. Die Sonne schien durch die grünen Zweige und spielte auf den beiden jungen Gesichtern. Maleen hatte die Arme unter den Nacken verschränkt und schlief. Tausendschön hatte auch die Augen ge^ schlössen, aber er schlief nicht. Er dachte an allerlei und an Maleen. Ob sie wohl schläft? Er richtete sich auf, ganz voi" sichtig, und machte einen langen Hals, sie schlief. Er beugte sich über sie. Wie schön sie war. Diese weichen, schwellenden Lippen, durch die er wieder Mensch ge^ worden war; ach, nur einmal, nicht geküßt werden, nein, küssen, nicht empfangen, nein, geben, geben I Er neigte sich tiefer über sie, näherte seine Lippen ihren Lippen und drückte ganz leise einen scheuen, knaben«» haften Kuß auf Maleens süßen Mund. Aber sie erwachte davon, und als sie ihn erschrocken zurückfahren und über und über erröten sah, wurde auch sie röter als die Erdbeeren, denn sie wußte jetzt, daß sie nicht geträumt hatte. Sie wagten sich beide nicht anzusehen und saßen einen Augenblick still und abgewandt beieinander. Auf einmal sprang Maleen auf, strich ihre Schürze glatt und meinte, es wäre Zeit zu 116 gehen. Ohne ein Wort zu sprechen, gingen sie neben* einander her. Nachts aber weinte Maleen auf ihrem Lager und seufzte: „Ich armes Mädchen, wenn er nun weggeht." Und der Prinz schlief auch nicht und seufzte. Aber er sagte nichts. Erseufzte nur. Und manchmal lächelte er auch. J9 Als nun Maleen Tausendschön von dem Rest seiner Katzenexistenz erlösen sollte, hatten sie sich schon oft geküßt. Und sie flogen sich wie zwei Brautleute in die Arme, die sich den letzten Kuß vor der Hochzeit geben, und küßten sich, daß man es hören konnte. Es war wie ein Punkt nach einer langen Geschichte, die nun glücklich zu Ende war. „Maleen, liebe, liebe, süße Maleenl" rief Tausends« schön, klatschte in die Hände und sprang vor Freude im Zimmer umher. Aber da stieß Maleen einen lauten Schrei aus. „Was ist dir?" rief Tausendschön. „Du hast ja noch — oh mein Gott, o du gütiger Himmel!" jammerte Maleen. Und Tausendschön warf bestürzt einen Blick hinter sich. O Schrecken! Da war ja noch der Schwanz! Tausendschön wurde blaß und taumelte auf einen Stuhl, und Maleen setzte sich auf einen andern Stuhl und rang die Hände. Wie ging das zu! Was war denn Schuld? Hatte sie genascht? Sie hatte doch nicht genascht. Und das mit dem Jäger war doch nun aus. Und Tausendschön hatte ja auch seinen Kopf wieder bekommen. Da fiel es ihr plötzlich ein: Die Rose! O sie schändliches, nachlässiges, gottverlassenes Mädchen. Wie hatte sie denn ganz die Rose vergessen können. Sie hatte den Kopf auch zu voll gehabt in der letzten Zeit. Und mit der Mutter war ja auch gar kein Umgehen mehr, seits« dem ein Prinz im Hause war. Die hatte natürlich auch Rose Rose sein lassen und nur von goldenen Kutschen und Schlössern geträumt und von Schokolade und Gänsebraten und Schneemustorte. 117 Maleen stürzte in die Kammer hinaus. Richtig, da stand die Rose und ließ die Blätter hängen, war ganz welk und unansehnlich. Sie lief schnell nach Wasser, aber es half nichts, die Rose war und bUeb welk. „Ach," jammerte Maleen, „was soll nun werden. Muß Tausendschön mit einem Schwanz herumlaufen und ist doch ein Prinz?" Die Mutter war außer sich und schalt um so ärger, als sie sich mit schuldig fühlte. „Müßtest du nicht die Rute haben, so groß wie du bist? Der arme junge Mensch. Was soll ein Prinz mit einem Schwanz anfangen? O du dumme nachlässige Trinel" Da wurde Tausendschön ganz böse und sagte, sie solle sich schämen. Um alle Schwänze in der Welt würde er nicht erlauben, daß sie Maleen schlüge. Eine Freude wäre es ja nicht, mit dem Katzenschwanz herum»! zulaufen. Aber lieber wolle er seinen Schwanz behalten als Maleen missen. Da fiel Maleen ihm um den Hals und schluchzte ganz laut: „O du guter, guter Tausend«» schön!" Als die Mutter sah, daß es eine so gute Wendung nahm, schlug auch sie um. Sie wäre eine alte Frau und wohl schon etwas wunderlich. Sie meine es ja nur gut, man dürfe ihre Worte nicht so auf die Wagschale legen. Und Maleen wäre immer ein gutes Kind ge«» wesen und würde gewiß eine brave und folgsame Frau werden. „Mutter I" rief Maleen und wurde dunkelrot und wußte nicht, wohin sie sich wenden sollte. Tausendschön aber lachte und sagte: „Das glaube ich auch, und was ich dazu tun kann." „Maleen!" rief die Mutter. „Nein dies Glück!" Aber Maleen war so böse auf die Mutter und schämte sich so, daß sie laut zu weinen anfing. Als aber Tausend»« schön sie auf den Schoß zog und sie tröstete und lieb hatte, lachte und weinte sie in einem Atem. Und Tausendschön nannte sie scherzhaft seine kleine Frau, und die Mutter wollte in die Küche und wieder Kaffee 118 kochen. Aber weder Maleen noch Tausendschön wollten etwas von ihrem KaflFee wissen. „Aber einen kleinen Kirschschnaps, was? Selbst ab^ gesetzt!" rief die Mutter und ließ nicht nach, sie mußten einen kleinen Kirschschnaps trinken. j^ Das war ja nun so etwas wie eine Verlobungsfeier gewesen, und Tausendschön und Maleen hätten sehr glücklich sein können. Das waren sie auch; wenn nur das Katzenschwänzchen nicht wäre. Da kam Maleen auf den Gedanken, sie wollten doch noch einmal zu dem alten Zauberer gehen, viel* leicht könnte er ihnen noch einmal helfen. Und so taten sie. Muckimack saß wieder vor seinem hohlen Baum und las. Zippedipp und Zappedipp hielten das Buch, und der Rabe saß auf seinem Kopf. Als Muckimack Maleen mit ihrem Prinzen sah, fing er an unbändig zu lachen, denn er hatte gleich Tausend»* schöns Schwänzchen gesehen. „Hahaha! Kleines Naschmäulchen I Hast du doch nicht widerstehen können?" rief er. Und der Rabe rief: „Sehr wahr, sehr wahr, ganz außerordentlich wahr" und stieß Töne aus, die klangen beinahe, als ob er auch lache. „Ach," sagte Maleen weinerlich und treuherzig, das ist nicht hübsch, daß Ihr uns nun so auslacht. Und genascht hab ich wirklich nicht." „So?" sagte Muckimack, „das Schwänzchen ist aber doch da." „Sehr wahr, sehr wahr," rief der Rabe, aber Mucki* mack bedeutete ihm, er solle schweigen. Maleen aber sagte, das käme von der Rose, sie hätte zuletzt die Rose nicht mehr sorgsam gepflegt. „Hm," machte der Alte, „und genascht hast du gar nicht." Aber Maleen fiel nichts ein. Da drohte Muckimack mit dem Finger: „Maleen, Maleen, noch hängt das 119 Schwänzchen da, und mich dünkt, ihr seht euch an wie zwei Brautleute." Da fiel es Maleen wie Schuppen von den Augen. „Ach," sagte sie. „Wer hätte das gedacht. Ja, jetzt weiß ich alles. Aber wir haben uns ja so lieb gehabt." Und sie fing bitterlich an zu weinen. „Siehst du, kleines Naschkätzchen," sagte Muckimack. „Könnt ihr Mädchen wohl das Naschen lassen?" Tausendschön aber stand dabei und wußte nicht recht, wie er sich benehmen sollte. Er zupfte Maleen am Ärmel, sie solle doch das Weinen nachlassen, und einmal drehte er sich zornig um, denn da saß der Rabe am Boden und pickte nach seinem Schwanz. Zippedipp und Zappedipp aber waren auf den Baum gesprungen und aßen Nüsse. Sie waren nicht für Sentimentalitäten. Endlich faßte sich auch Tausendschön ein Herz und sagte ganz fest: „Herr Muckimack, könnt Ihr uns helfen, so wollen wir Euch ewig dankbar sein. Wenn nicht, so sagt es, und ich will mein Schwänzchen tragen und froh sein, daß ich dafür mein Leben habe." „Ihr seid ein Kerl," lachte Muckimack. „So ist es recht I Euer Vater wird Euch des Schwänzchens wegen den Thron nicht vorenthalten. Ihr könnt es sogar als Szepter brauchen und habt dann die Hände immer frei. Also behaltet ihn nur und fahrt Eurem hübschen Bräute chen damit über die Augen, damit sie wieder klar werden." „Sehr wahr," rief der Rabe kurz und flog Tausend:» schön auf den Kopf, daß er sich erschrocken duckte. „Hanswurst," schalt Muckimack. „Willst du machen, daß du da herunterkommst. Der Bursch ist ein Prinz I" „Sehr wahr, sehr wahr, ganz außerordentlich wahr," rief der Rabe und flog auf den Baum. Den beiden jungen Leuten aber wurde ganz wunderes lieh zumute bei dem spaßigen Alten, der statt Mitleid und Hilfe nur Spott für sie hatte. Und Maleen meinte, sie wollten nur gehen, hier fanden sie doch kein Ge:* hör." - Da sagte Muckimack: „Fräulein Naschmäulchen, 120 Fräulein Naschmäulchen, tritt einmal her und gib mir die Hand." Da trat Maleen ängstlich näher und reichte ihm zag.« haft ihre kleine Hand. „Ja," sagte Muckimack, „das ist eine kleine warme Hand. Man merkt, du hast heißes Blut, rotes heißes Blut." Und dabei wurde er ganz nachdenklich und sah immer ernster aus. „Ich will dir noch einmal hei* fen," sagte er. „Aber dann ist es aus. Gehe noch ein* mal nach dem schwarzen Turm. Auf dem Tisch, wo du die Rose gefunden hast, liegt ein langer spitzer Dolch, den mußt du mitnehmen, die Fragen kennst du ja und weißt, was du zu antworten hast. Nur mußt du den Wächter nicht an den Kopf schlagen, sondern ihm den Dolch ins Herz stoßen. Darfst dich auch sonst wieder durch nichts stören lassen. Mein Rabe wird dir den Weg wieder zeigen. Dein Prinz aber bleibt so lange hier. Wir werden uns schon unterhalten." „Sehr wahr, sehr wahr, ganz außerordentlich wahr," rief der Rabe und flatterte über Maleen, als wollte er sagen, „so geh doch, worauf wartest du noch." Da bedankte sich Maleen bei Muckimack und wollte Tau* sendschön einen Kuß geben, aber Zippedipp warf eine Nuß dazwischen, und sie begriff und nickte ihm nur zum Abschied zärtlich und aufmunternd zu. Dann verschwand sie mit dem Raben im Walde. Muckimack lud nun Tausendschön ein, sich zu ihm zu setzen. Der tat es, wenn auch nicht ganz ohne Furcht. Aber Muckimack war sehr liebenswürdig und auf* geräumt. Er nahm Tausendschöns Schwänzchen in die Hand, ließ es spielend durch die Finger gleiten und meinte: „Also das ist Euer Schwänzchen. Sieh, ein ganz stattliches hübsches Schwänzchen. Warum wollt Ihr es eigentlich nicht tragen? Es ist schmuck und zeigt was her." Tausendschön, dem das sehr genierlich war, wagte doch nichts zu sagen und ließ sichs wohl oder übel gefallen. Er machte eine sauersüße Miene zu dem Scherz und meinte, das wäre Ansichtssache. Der 121 Geschmack wäre verschieden. Die Hauptsache wäre ja ~" Hier stockteTausendschön. Er hatte den Fadenverloren. „Nun, die Hauptsache, junger Freund? Was ist die Hauptsache?" „Die Hauptsache?" „Sie sprachen eben von der Hauptsache, Hoheit," sagte Muckimack mit leisem Spott. „Was ist nun die Hauptsache?" „Daß man sich seiner Fehler schämt und sie abzulegen trachtet," sagte Tausendschön heftig. „Übrigens"— und hier sprang er auf — „ich bin nicht hier, um mich von Ihnen beleidigen zu lassen. Bei meiner Ehre, wenn ich auch keinen Degen trage — ". „So haben Eure Hoheit doch ein recht niedliches Schwänzchen," höhnte Muckimack. „HerrI" brauste Tausendschön auf. „Junger Mann, soll ich Sie in einen Fisch verwandeln?" fragte Muckimack gelassen. Da kam Tausendschön zu sich und wurde ganz blaß vor Schreck. Er hatte keine Lust zu neuen Verwandj« lungen. „Sie haben Recht," sagte er kleinlaut. „Etwas mehr Kaltblütigkeit könnte mir nicht schaden. Ich bitte um Verzeihung." „Recht so, junger Mann. Geben Sie mir Ihre Hand. Sie sind doch ein ganzer Mann und wissen zu antworten. Nehmen Sie wieder Platz. Bitte." Indessen war Maleen nach dem Turm gekommen. Die Tür stand wieder auf, und eine Stimme sagte: „Maleen, Maleen hüte dich. Dorn und Dolch die stechen. Maleen, Maleen hüte dich, willst du den Zauber brechen." Maleen stieg furchtsam die Treppe hinauf und sah kaum in den Spiegel. Sie wußte ja nun Bescheid. Oben saß noch der Mann ohne Kopf, und der Kopf lag noch auf dem Tisch, neben dem langen spitzen Dolch und stellte dieselben Fragen wie damals. Und Maleen sagte wieder, sie hieße Schielauge und wäre über hundert 122 Jahre alt und sie wolle den Dolch haben. Den könne sie nicht bekommen, der wäre für Prinz Tausendschön, sagte der Kopf drohend. Aber sie nahm den Dolch und stieß ihn dem Mann ohne Kopf ins Herz. Dies»» mal sagte der Kopf gar nichts, sondern starrte sie nur schrecklich an. Da stürzte sie eiligst die Treppe hin«« unter und lief so schnell zurück, daß der Rabe seine Not hatte, mitzukommen. Ganz atemlos kam sie an. „Sieh da, sieh da, die hats eilig gehabt," rief Mucki* mack. „Ein rechtes Mädel. Nun, hast du den Dolch?" Maleen zeigte den Dolch, und als sie sah, daß er noch ganz blutig war, warf sie ihn hin. „Ei was!" sagte Muckimack. „Nur nichts wegwerfen." Damit hob er den Dolch auf, und als ob es die selbst«« verständlichste Sache wäre, nahm er Tausendschöns Schwänzchen und fegte damit den Dolch rein. Tausend«« schön machte ein Gesicht, als solle er Blut lassen, und Maleen stieß einen leisen Schrei aus. Muckimack aber gab ihr ruhig den Dolch und sagte: „Hier, liebes Kind. Bist du bisher so tapfer gewesen und hast mit einem Heldenmut und einer Ausdauer geküßt, die einer besseren Sache würdig gewesen sein würde, so wirst du auch vor dem Letzten und Schrecklichsten nicht zurückschrecken. Maleen zitterte sichtlich, und Tausendschön legte seinen Arm um sie. „Vor deinem Hause," fuhr Muckimack fort, „steht eine Birke. Man kann bequem hinaufkommen. Da hinauf soll dein Prinz Katzenschwanz steigen. Er darf aber keine Vögel mausen unterwegs. Tausendschön schnitt ein Gesicht. „Dann nimmst du die Leiter, steigst hinauf und stößt diesem jungen Herrn diesen Dolch mit aller Gewalt —" „OhI" schrie Maleen entsetzt und an allen Gliedern zitternd und schlug die Hände vors Gesicht. „Ich dacht es doch, daß du den Mut nicht haben würdest," sagte Muckimack mitleidig. 123 „Doch! Doch! Ich will ja alles tun," rief Maleen und stotterte vor Angst, während Tausendschön blaß, aber gefaßt dabei stand. „Also, dann stößt du diesem Herrn den Dolch mit aller Gewalt bis ans Herz" — Maleen stand, die ge** falteten Hände aufs Herz pressend, und starrte den Alten ängstlich an. Und Muckimack sagte langsam und ernst seinen Satz vollendend, „durch den Schwanz." Maleen kreischte unwillkürlich auf, und auch Tausend* schön stieß einen unartikulierten Laut aus. Maleen hätte darauf schwören mögen, er hätte miau gesagt. Dann aber löste sich die Spannung ihres Gemütes, und sie fragte halb zweifelnd, ob sie recht gehört hätte, und halb vorwurfsvoll: „Durch den Schwanz?" „Ja," sagte Muckimack heiter und gelassen. „Und zwar bis ans Heft, so daß er an den Baum genagelt ist wie die Katze ans Scheunentor." Das war eine unzarte Bemerkung, und Tausendschön sah beleidigt zu Boden. „Dann," fuhr Muckimack immer heiterer fort, „steigst du wieder von der Leiter herunter, stellst dich unter den Baum und klatschst dreimal in die Hände und sagst dabei: Katz bleib oben, Prinz herab. Eins, zwei, drei, und Schwanz reiß ab. Und bei drei muß der junge Herr vom Baum springen, und hast du nur fest genug zugestoßen, wird der Schwanz oben hängen bleiben." Maleen sagte kein Wort und Tausendschön auch nicht. Sie sahen sich nur an, und Tausendschön machte eine halbe Bewegung mit der Hand hinter seinem Rücken. „Obs weh tut, weiß icht nicht," sagte Muckimack. „Aber helfen tuts." „Sehr wahr, sehr wahr, ganz außerordentlich wahr," rief der Rabe und flog wieder auf Muckimacks Kopf. 124 Da bedankten sie sich ziemlich kleinlaut und machten sich auf den Heimweg. Keiner sagte ein Wort, und jedes war mit seinen Gedanken beschäftigt. Da fühlte sich Tausendschön mit einmal an sein Schwänzchen gezupft, und da war es Zippedipp. „Nichts für ungut," sagte Zippedipp. „Aber Herr Muckimack hat noch etwas vergessen." Da mußten sie wieder umkehren, und Muckimack entschuldigte sich, aber er hätte etwas Wichtiges ver* gessen. Maleen müsse sich nämlich mit dem Dolch in die Hand ritzen, so daß Blut herausflösse, und mit diesem Blut müsse sie die Rose tränken, dann würde sie wieder aufblühen." Das wolle sie herzlich gern tun, sagte Maleen, und Tausendschön machte ein besorgtes Gesicht. Als sie nun wieder zu Hause waren und die Mutter hörte, um was es sich handele, machte sie nur „Hm" und „Hem" und war so voller Unglauben und Zweifel wie Maleen und Tausendschön selbst. Das sah alles so aus, als wollte Muckimack nur seinen Schabernack treiben, und Tausendschön war es, als hätte er Rheus» matismus in seinem Schwänzchen, ein so eigenes, un«* angenehmes Gefühl. Da faßte Maleen zuerst wieder Mut und sagte: „Ob er nur seinen Spaß mit uns treibt, das wollen wir bald sehen. Bringt mein Blut die Rose wieder zum Blühen, dann wird es auch mit dem andern seine Richtigkeit haben, und wir wollen fröhlich sein." Dabei ritzte sie sich mutig mit dem Dolch die Hand, ließ das rote warme Blut auf den Rosentopf träufeln, und siehe, kaum hatte die trockene Erde ein paar Tropfen von dem seltenen Trank geschluckt, als auch die Rose an^ fing, wieder aufzuleben, und so schön und herrlich wurde sie und hatte ein so köstliches Rot wie nie zuvor und duftete wunderlieblich. „Ja," sagte Maleen, „nun wollen wirs wagen." Und Tausendschön spürte seinen Rheumatismus nicht mehr, 125 und die Mutter lief in den Schuppen und holte die Leiter. Tausendschön meinte freilich, so eile es doch nicht, er könne ganz gut noch ein paar Tage mit seinem Schwänzchen herumlaufen. Aber dann schämte er sich auch schon seiner Feigheit vor Maleen. Da setzte die Mutter die Leiter an, Tausendschön kletterte in den Baum, und Maleen stieg auf die Leiter, legte sein schönes Schwänzchen vorsichtig gegen den Stamm und bat ihn, auch ja recht ruhig zu halten. Und dann holte sie noch einmal tief Atem, und mit aller Kraft stieß sie den langen spitzen Dolch bis ans Heft durch Tausendschöns Schwänzchen. „Miau" schrie Tausendschön ganz laut und deutlich. Maleen wäre beinahe vor Schreck von der Leiter ge^ fallen. Oder hatte sie sich verhört? Die Mutter htu lieh hatte es auch gehört, aber keine wollte es der andern zugestehen. Indessen hockte Tausendschön auf dem Baum und verzog das Gesicht vor Schmerz. „Tuts weh?" fragte Maleen ängstlich und mitleidig. „Es geht," stöhnte Tausendschön, „ein wenig." „Ol Au! Donnerwetter! I Oh! Oh! Oh!" Da stellte sich Maleen in ihrer Herzensangst unter den Baum und klatschte dreimal in die Hände und sagte mit fliegender Hast: Katz bleib oben, Prinz herab. Eins, zwei, drei, und Schwanz reiß ab. Und bei drei biß Tausendschön die Zähne zusammen und sprang, und sprang gerade Maleen in die Arme, daß sie beinahe umgefallen wäre, und oben am Baum hing das Schwänzchen. Da umarmten sie sich und lachten und weinten vor Freude. Und Maleen fragte ein über das andre Mal: „Tuts weh. Tausendschön, tuts weh?" Und Tausendschön rief: „Nein, Maleen, gar nicht mehr." 126 Und die Mutter stand dabei und wackelte mit dem Kopf und legte immer abwechselnd eine Hand in die andre. „Herr meine Güte! Nein, du lieber Himmel, ach, was doch für ein Glück I" Dann gingen sie alle drei ins Haus und ließen die Leiter draußen stehen. Und Maleen und Tausendschön setzten sich auf das Sofa , und die Mutter ging in die Küche und kochte KajflFee. Diesmal ließ sie es sich nicht nehmen, darauf gehörte eine Tasse Kaffee, das ging gar nicht anders. Und diesmal taten sie ihr den Gefallen und tranken, und Tausendschön meinte sogar, es wäre doch eine Herzstärkung, so ein Schluck hinterher. „Das sag ich ja," rief die Mutter. „Ach Maleen, was doch für ein Glück!" Aber Maleen konnte nichts sagen. Tausendschön hatte sie gerade beim Kopf und küßte sie. Das war eine Seligkeit, und Tausendschön sagte, wenn sein Vater das wüßte, würde er vor Freude hundert Kanonen** Schüsse abfeuern lassen. Und so kam es denn auch. Tausendschön reiste nach Hause und nahm Maleen und ihre Mutter mit. Die böse Königin war inzwischen gestorben, und der König, der sich freute, daß er seinen Sohn wieder hatte und gleich eine so hübsche Schwiegertochter dazu, ließ hun:« dert Kanonenschüsse abfeuern. Maleens Mutter machte sich Hoffnung, der alte König würde nun sie heiraten. Aber das tat er doch nicht. Er dankte ab, und Tausendschön wurde König und Maleen Königin. Der alte König aber und die alte Mutter spielten noch viele Jahre Sechsundsechzig zu* sammen und freuten sich, daß alles so gut abgelaufen war. Das Katzenschwänzchen aber hängt noch in der Birke, wer hinreist, kann es sehen. Dem Jäger aber hat die Geschichte das Herz gebrochen. Das ist nun einmal nicht anders. Des einen Glück ist des andern Unglück. Und Prinzen haben immer die Vorhand, namentlich, wenn sie keinen Katzenschwanz haben. Aber auch sonst — Weiber bleiben Weiber. 127 DIE FAHRT NACH ROSS Sie waren große Bengels von dreizehn und vierzehn Jahren, rechte Hamburger Jungen von der Wasserkante, die nicht nur auf der Straße zu Hause waren, sondern auch auf dem Strom. Sie konnten rudern wie ein richtiger Jollenführer, kannten alle Schiffe und bewegten sich in Ausdrücken, die meist nach Seewasser und Tabak rochen. Den Ton gab Fritz Kleesand an. Der hatte die Schule schon verlassen und sollte im Sommer auf See gehen. Er sprach schon wie ein Matrose und priemte. In der Schenke seines Vaters verkehrten genug Lehr*» meister, die seine Erziehung in dieser Hinsicht über* nahmen, ohne daß sie etwas mehr taten, als ihn durch Beispiele zu leiten, indem sie tranken, fluchten, auf«» schnitten, Karten spielten und kauten und schnupften. Den andern imponierte sein seemännisches Wesen. Nur das Kauen flößte ihnen Ekel ein, und Anton Krautsch, der etwas auf sein Zeug hielt, sagte einfach: „Du Schwein I" als Fritz Kleesand ihm einmal aus Vers» sehen — wer will das feststellen — auf den Stiefel spuckte. Das fand Fritz Kleesand so komisch, daß er laut auflachte. Im allgemeinen vertrugen sie sich gut. Sie waren in den Jahren, wo die Phantasie, immer mit abenteuerlichen Plänen beschäftigt, die ersten praktischen Versuche macht, sich in der Welt zurechtzufinden, sich in diesen schäumenden und brausenden Wassern des Lebens eine Insel zu suchen, wo sie ihr Königreich gründen könnte. Fritz Kleesand träumte seines irgendwo in Indien oder Kalifornien, ohne bestimmte Vorstellung; nur erst ein* mal hinaus, weit weg, in die Freiheit! Hugo Winsemanns Phantasie war mehr an Büchern genährt. Ihm lagen Robinson und Lederstrumpf im Kopf. Anton war wohl auch für Lederstrumpf, aber weniger aus Lust am Abenteuerlichen und Phantasti* sehen, als aus dem gesunden Drang heraus, sich aus* zutoben, seinen jungen, wachsenden Kräften ein Bett 128 zu finden, in dem sie sich austoben konnten. Das mütterliche Erbteil in ihm war mehr überwiegend. Er war mehr für Land als für Wasser, und da er auch die große Überredungsgabe von ihr hatte — Junge, konnte er schwätzen, wenn er in Eifer kam — , so heckte er meistens die Touren aus und setzte seine Pläne durch. Heute aber, es war ein freier Sonnabendnachmittag, hatten sie Fritz Kleesand die Führung überlassen. Der sollte in vierzehn Tagen als Schiflfsjunge mit Käptn Krüzfeld von der „Alaska" in See stechen. Es war das letztemal heute, daß er mit ihnen zusammen war. Da erwiesen sie ihm allerlei Ehre und taten nach seinem Willen. Der war natürlich aufs Wasser gerichtet, und recht famos, das heißt recht abenteuerlich sollte es zu guter Letzt noch werden. Sie wollten ein Boot nehmen und nach der Insel Roß hinüber rudern und Eroberer spielen. Sehr kriegerisch waren ihre Vorbereitungen nicht, aber nicht ohne Um^ sieht und Einsicht. Krieg oder Frieden, der Magen will seine Rechte. Wer weiß, ob man am fremden Strande genügend Nahrungsmittel findet, ob die Ein^» geborenen gastliche Leute sind. Eine Erbswurst kann bei allen Unternehmungen gute Dienste tun. Ein Praktikus läßt sie nie außer Rechnung, und so stand bei allen Beteiligten schon wochenlang vorher fest, daß sie eine Erbswurst auf jeden Fall mitnehmen wollten. Sie wurde auf gemeinschaftliche Kosten angeschafft, Fritz Kleesand hatte den Einkauf übernommen. Dann war man übereingekommen, daß jeder für seinen Teil Pros» viant nach Wahl und Geschmack und in genügender Menge mitbringen solle. Anton sorgte für rote Wurzeln, Apfel und Johannisbrot. Sein anderes Brot sollte jeder beistecken. Fritz Kleesand war für gemeinschaftlichen Einkauf von Schnecken oder Hörnchen oder so etwas Süßem; er war lecker. Aber Anton fragte ihn, ob er meine, daß Pizarro oder Kolumbus mit Apfelschnitten oder Vanilletorten auf die Entdeckung von Amerika ausgezogen wären. Und ob er glaube, daß er nachher 9 129 bei Käptn Krüzfeld Schnecken zum Kaffee kriegen würde. „Na, quatsch man nich erst wieder so lang, um so n Dreck", wehrte Fritz Kleesand ab, und dann brachte er nachher, um Anton zu beschämen, SchifFszwieback mit, richtigen, harten SchifFszwieback. „Donnerwetter, SchifFszwieback I" rief Anton. „Wo hast du die her? Das ist famos. Da hätte ich auch an denken sollen." „Ja, nachher] Was wißt ihr, was zu einer Seereise gehört", sagte Kleesand großartig und machte ein Ge^ sieht, als hätte er noch etwas ganz Besonderes im Hinterhalt. Die drei Flaschen Eibschloß waren es nicht, denn davon hatte er eine unterm Arm, und die andern stecktenjede ihren Hals aus seinen Seitentaschen heraus, von Anton gleichfalls mit einem vielsagenden „Donnerj* wetterl" begrüßt. Und die Schweden, die Fritz Klee»« sand vorzeigte, waren es wohl auch nicht. „Dein Flintstein wird mal wieder keinen Funken hergeben", sagte er zu Anton. „Besser ist besser." „So?" entgegnete Anton. „Wie fein brannte es neu«! lieh, das ist nur n Kleinigkeit." Hugo war der stille Handlanger wie immer. Er hatte nicht über viel Barmittel zu verfügen und hatte keinen Vater, dem man Flaschenbier ausführen, und keine Mutter, der man Wurzeln und Äpfel unter Einkaufs:« preis abluchsen konnte. Er hing von der Großmut der andern ab und konnte sich nur mit einer Stange Lakritzen und einem Stück Schokolade im Gesamtwert von zehn Pfennigen, die er seiner Mutter mühsam abgebettelt hatte, am Freßdepot beteiligen, das seiner Obhut an^ vertraut wurde, nachdem man es wohl verstaut hatte. Anton setzte sich ans Steuer, und Fritz Kleesand legte sich in die Riemen. Natürlich hatte er vorher in die Hände gespuckt und sich die Mütze in den Nacken geschoben, und Anton, der sonst nicht so war, ließ das Steuer noch mal schnell fahren und machte es ihm nach. Die Anmusterung auf der „Alaska" hatte Fritz 130 Kleesand mit einem Nimbus umgeben. Alles was er sagte und tat, bekam dadurch einen Nachdruck, eine höhere Weihe. Hugo hätte sich auch gerne in die Hände gespuckt, aber er hatte ja nichts anzufassen. So begnügte er sich damit, sich die trockenen Hände kräftig zu reiben, ließ aber die Mütze sitzen, wie sie saß. Verwegenheit lag so wenig in seiner Natur, daß die besten Beispiele hier nichts ausrichteten. Anton, der für alle Kraftleistungen ein bewunderndes Auge hatte, staunte Fritz Kleesand an, der sich mächtig ins Zeug legte, und freute sich auf den Augenblick, wo sie die Plätze tauschen würden. Hugo war nur schwach, der konnte höchstens steuern. Und dann mußte man ihm auch noch auf die Finger passen. OiflFenes Auge und sichere Hand mußte man freilich haben, wollte man durch dieses Gewirre von Böten, Ewern, Fährdampfern, Schleppern, Barkassen, um nur das Kleinzeug zu nennen, was da auf dem Strom durch»» einander hastete, ohne Havarie hindurchkommen. Mancher warnende Pfiff der Dampfpfeife galt ihnen und führte Hugo, dessen Gedanken meist bei der Erbswurst verweilten, zu Gemüte, wie unsicher alles in diesem Leben ist, und daß man nur die schon ge^ nossenen Freuden zählen darf. Die Insel Roß lag wie ein Stück vergessene Wildnis, umrauscht von dem Strom des großen Weltgetriebes. Ein paar Krähen flogen lautlos auf, als das Boot an den Strand stieß. Fritz Kleesand vertaute es kunst*» gerecht, während die andern unternehmend, wie rechte Eroberer, ihre Blicke umherwandern ließen. Dann warfen sie sich in den Sand und ruhten von den Anstrengungen des Rudems aus. Hugo wollte sofort Feuer machen. Sein Appetit war zu rege geworden. Aber Anton fragte ihn ruhig und freundlich: „Bist du eigentlich verrückt?" Eine Frage, die nicht beantwortet wurde, aber doch den Ausschlag gab. 9* 131 Aber „einen aus dem Buddel" wollte Fritz Kleesand doch erst mal nehmen. Er wäre verdammt heiß ge^ worden. Und als Hugo den Proviantsack öffnete, ver* langte Fritz auch gleich SchijEfszwieback. Anton pro^» testierte umsonst. „Du kannst ja meinetwegen erst n BüflFel jagen oder n paar Indianer skalpieren", meinte Fritz Kleesand ge^ mütlich. „Ich bin hungrig." „Meinst, ich will allein jagen?" gab Anton zurück und sah Hugo auffordernd an. Aber Hugo hätte es nicht übers Herz gebracht, Fritz Kleesand ohne Auf«» sieht beim Proviant zu lassen. Da warf sich Anton wieder hin und fügte sich. Und so nahmen sie erst alle „einen aus dem Buddel" und knapperten Schiffs«* Zwieback. Vor ihnen lag das belebte Strombild im Glanz der langsam sich neigenden Sonne. Die weißen Segel der kleinen Fahrzeuge leuchteten auf und blitzten aus dem spiegelnden Wasser zurück. Die dunkleren Segel brannten förmlich in der Abendglut. Der Rauch aus den Schornsteinen der Dampfschiffe wiegte sich hier gemächlich auf den Flügeln des leisen Windes, flog dort in hastigen zerrissenen Flocken, da die kleine Bars* kasse ihn höchst eilig ausstieß und wie ein Hecht auf Raub stromabwärts schoß. Auf den jenseitigen Höhen leuchteten alle Fenster des Seemannshauses und der Navigationsschule wie flüssiges Gold, und der Turm von St. Michael stieg feurig über die dunkle Masse der beschatteten Dächer in den frühen Abendhimmel. Dem Lärm vom Strom her, den Dampfpfeifen, dem Rufen, dem Kreischen einer Ankerwinde, einte sich die vom Reiherstieg unablässig herüberklingende an^ und abschwellende Musik der Arbeit; das hämmernde, kreischende Geräusch von den Werften her, wo riesige Schiffsgerippe unter der Wucht der Schläge erzitterten, die sie fertigen und festen sollten für die Stürme, die da draußen im Ozean auf sie lauerten, und für die Wogen, die mit ihnen Fangball spielen wollten. Man 132 hörte das Dröhnen und Klingen der Eisenplatten, hörte das Gerassel der Ketten. Und hart neben dieser rastlosen Werkstatt tätigen, schaffenden Menschenlebens diese kleine unbewohnte "Wildnis, diese kleine noch jungfräuliche Insel, wo das grüne Gras sich leise vom Wind streicheln ließ, der auch die langhaarigen Perücken der alten Weiden kämmte. Über dem Strom und den Köpfen der Stranderoberer hinweg schössen die leuchtenden Möwen hin und her, fielen blitzschnell auf den Wasserspiegel nieder, flatterten suchend darüber hin und erhoben sich wieder, ab und zu einen kurzen schrillen Schrei ausstoßend. Kauend sahen die Jungens auf den Strom hinaus. Fritz Kleesand fuhr mit jedem Segel, das elbabwärts glitt, in die Welt. Eigentlich war es doch nett von ihm, daß er sich mit diesen beiden Schulfritzen noch abgab, eigentlich gegen seine Würde. Na, er wollte ihnen nachher noch zeigen, daß er mehr war als sie. Sie sollten noch Augen machen. Anton war mit seinen Augen und Sinnen überall. Der rastlose Lärm der Arbeit, der von überallher sich über dies stille Fleckchen Erde ergoß, berauschte ihn förmhch. Er hörte es gern, das Hämmern und Schmier den und Feilen. Er war mit seinen Gedanken mehr in den mächtigen Fabriken und Werftanlagen als auf dem Wasser. Und er sprang kauend auf und lief nach dem Fischerkutter, der weiterhin schief auf dem Sand lag und gereinigt wurde, und sah nach dem Kohlenhafen hinüber, wo schwarze Gestalten bei der Arbeit waren. Hugo aber verfiel in ein traumhaftes Genießen des blitzenden Strombildes, und fühlte sich wohlig beim Kauen des Zwiebackes und unter der leise einschläfern^» den Wirkung des Bieres. Als Anton von den Kohlenschiflfen zurückkam, war Fritz faul geworden und wollte überhaupt nicht aufstehen. „Dein dummes Rumrennen", sagte er gähnend. „Jetzt machen wir Feuer. Und dann kommt die Erbswurst dran." 133 Hugo erwachte sofort aus seinem Hinträumen und stimmte lebhaft zu. Und bald flammte ein Feuer, das sie nicht ohne Mühe unterhielten, denn sie hatten wohl an Schweden und Flintstein gedacht, aber nicht an Brennmaterial. Und was sie am Strande fanden, war nicht viel, und wollte nicht recht brennen. Aber es ging doch. Und die Erbswurst schmeckte auch. Und alles war jetzt köstlich. „Und nu paßt auf", sagte Fritz Kleesand und schleus derte die leeren Bierflaschen mit gutem Wurf weithin in den Strom. „Das Zeug mag ich nun nicht mehr." Und dann zog er mit verschmitztem Lachen eine andere Flasche aus seiner Brusttasche. Sie war klein und flach, und die beiden erkannten sofort, was sie enthielt, schon bevor Fritz Kleesand sie gegen die Sonne hielt und mit einem Auge durch die braune Flüssigkeit blinzelte. „So sieht die Welt gleich anders aus", sagte er und steckte die Flasche wieder in die Tasche. „Donnerwetter! Kognak?" rief Anton überrascht. Hugo aber war entsetzt. „Mensch, was n Unsinn I" rief er. „Hätte dir gern n Schnullerbuddel mitgebracht, wenn du es mir nur gesagt hättest", höhnte Fritz Kleesand. Dann holte er mit großer Gebärde die Flasche wieder heraus und entkorkte sie. „Matrosenmilch", sagte er. „Prost!" Und der erste Schluck rann ihm durch die Kehle, ohne daß er das Gesicht verzog. Anton langte etwas zögernd nach der Flasche, setzte aber mutig an. „Brennt das Zeug", sagte er und schüttelte sich. Hugo aber spuckte das Zeug wieder aus. „Lappen", sagte Fritz verächtlich und nahm noch einen Schluck. „Mensch, du kriegst n Brand", warnte Anton. „Von dem Fingerhut voll? Dein Vater ist doch auch ein Käptn, solltest doch n halben Kognak vertragen können." 134 „Kann ich auch", antwortete Anton, der nicht gern zurückstand, aber Hugo riß ihm die Flasche aus der Hand. „Wir sollen doch man wieder heil nach Hause", schalt er. „Du büst n Bangbüx", höhnte Fritz Kleesand. „Da ist dein Alter doch ein andrer Kerl. Der fürchtet sich nicht vorm Kognak." Er lachte roh auf. „Hör malr* rief Anton. „So was mußt nicht sagen." Hugo aber war blutrot geworden. „Laß meinen Vater zufrieden." „Wer tut ihm was?" „Du hast ihn beschimpft." „Du!" „Weil ich gesagt hab, daß er sich vorm Kognak nicht fürchtet, und manchmal duhn ist? Das ist er dochl" „Gemeinheit!" rief Anton empört. „Nun schweigst du aber!" „Gemeinheit?" Fritz Kleesand sprang auf. Aber er sah sich beiden gegenüber und legte sich wieder hin, lang auf den Rücken, und pfiff. „Das ist langweilig", sagte Anton. „Ich mein, wir wollten spielen." „Ach du mit deinem Spielen! — Und wenn ihr alles gleich krumm nehmt — man kann doch mal n Wort sagen", meinte Fritz Kleesand und warf sich auf die Seite. „Na ja! n Wort", sagte Hugo halb nachgiebig. „Also!" triumphierte Fritz und richtete sich auf. „Du solltest uns übrigens lieber die Indianergeschichte zu Ende erzählen, sie wollten gerade die Prinzessin skals« pieren." „Die Gräfin", verbesserte Hugo. „Deem ist Deem", entschied Fritz. Anton stand mit den Händen in den Hosentaschen und sah auf den Strom hinaus. Er war unzufrieden. Er hatte sich das anders gedacht. Den alten Kognaks geschmack konnte er auch nicht los werden, soviel er 135 auch ausspuckte. Nun setzte er sich schnell an Hugos Seite und hörte gespannt zu. „Der weiße Bär hatte gerade ihre goldnen Locken um seine Hand gewickelt und schwang in der Rechten das drohende Messer, als ein langgezogener Pfiff den Mordstahl in seinem verhängnisvollen Lauf aufhielt. Der weiße Bär richtete sich unwillkürlich auf, und in diesem Augenblicke krachte ein Schuß, der Häuptling taumelte und fiel mit dumpfem Laut vornüber, das schöne Mädchen unter der Last seines Riesenleibes begrabend. Schon der Anblick des Mordstahls hatte das liebliche Geschöpf ohnmächtig gemacht. Nun lag sie wie leblos unter der Leiche ihres Peinigers. Wildtöter, denn niemand anders war es, stieß mit dem Fuß den leblosen Körper des weißen Bären bei^ Seite, kniete neben Gräfin Dolores nieder und sah mit einem langen Blick auf das schöne blasse Gesicht. Dann entnahm er seiner Jagdtasche ein Fläschchen mit Port:* wein und flößte ihr einige Tropfen ein." „Portwein?" fragte Fritz Kleesand ungläubig. „Wird wohl Whisky gewesen sein." „Das ist doch einerlei!" rief Anton ärgerlich ob dieser Störung. „Als die Schöne die Augen aufschlug," fuhr Hugo fort, „sah sie sich verwundert um. Wo bin ich? fragte sie. Und als sie Wildtöter erkannte, war ihre erste Frage: Was macht mein Vater? Wo ist Graf Arthur?" „Neulich hieß er Graf Alfred", warf Fritz Kleesand wieder ein. „Ist ja gleich", entschied Anton wieder. „Ja, wenn alles gleich ist, ob Portwein oder Whisky, ob Arthur oder Alfred, da kann er ja auch meinetwegen n andere Geschichte erzählen. Das bleibt sich ja dann auch gleich." „Aber Mensch, fang doch nicht immer Streit an", schalt Anton. „Streit an? Wer macht Streit?" „Dul" 136 „Du willst wohl eins aufs Maul?" „Könnt dir schlecht bekommen." „Du Butt!" sagte Fritz Kleesand verächtlich. Alle drei waren wie der Blitz auf den Beinen. Hugo stieß einmal Fritz an und einmal Anton. „Was soll dasl Seid doch vernünftig!" Aber beide schoben ihn mit einfacher Armbewegung wie eine Puppe beiseite und warfen sich wütende Blicke zu. Auf einmal drehte sich Fritz Kleesand mit spöttischem Lächeln um und legte sich wieder hin. Er war feige. Anton stand noch wie ein gereizter Bulle da, bis Hugo am Ärmel ihn zu sich herunterzog. Mit der Geschichte wars nun natürlich aus. Fritz Kleesand aber hatte mit einem Male die Kognakflasche wieder in der Hand und wollte seinen Ärger hinunter«« spülen. „Frost I" rief er höhnisch. Aber Hugo, durch die Indianergeschichte und den Anblick der beiden Kampfbereiten auch allmählich in kriegerische Stimmung geraten, schlug ihm die Flasche aus der Hand. Da warf sich Fritz Kleesand wie ein Tiger auf ihn. Umsonst versuchte Anton ihn von seinem Opfer loszureißen und trommelte mit beiden Fäusten einen Generalmarsch auf seinem Rücken. Es nützte ihm nichts. Als Fritz Kleesand endlich losließ, richtete sich Hugo auf, ohne ein Wort zu sagen. Er war sehr blaß und zitterte am ganzen Körper vor Wut und Scham. Das war nun der Dank für seine Geschichte. „Du Spatz", höhnte Fritz Kleesand. Anton hielt mühsam an sich. Fritz war ein Flegel und Feigling. Mit dem Schwächeren band er immer gleich an. Er verachtete ihn. Hugo war ein Lappen. Und was hatte er Fritz die Flasche aus der Hand zu schlagen. „Ich gehe nach Haus", sagte Anton mürrisch. „Das gefällt mir nicht mehr." „Meinst du mir?" lachte Fritz Kleesand. „Ich werd hier auch nicht übernachten." 137 So gingen sie ans Boot und banden es los. Keiner sprach ein Wort. Als sie einstiegen, torkelte Fritz über seinen Sitz. Anton mußte ihn halten. „Ist doch gut," dachte er, „daß er ihm die Flasche aus der Hand schlug. Er ist ja schon besoffen." Fritz wollte steuern, aber Anton heuchelte Schmerz in der Schulter, er könne nicht rudern, er müsse sich beim Balgen die Schulter ausgesetzt haben. Fritz Klee:* sand setzte eine verächtliche Miene auf: „Was wagt ihr euch auch an Fritz Kleesand heran." Dann stieß er ab, das Boot schwankte gefährlich, und ein Riemen mußte wieder aufgefischt werden. Anton war besorgt. Als sie auf dem Wasser waren, fühlte er, daß sein Kopf heiß war und sein Magen etwas rebellisch wurde. Aber er nahm sich zusammen. Fritz Kleesand legte höllisch aus. Er warf sich fast ganz hintenüber. Sie flogen nur so dahin. Hugo saß blaß da und nagte an seiner Oberlippe. Er war aufs tiefste gekränkt und nahm sich vor, kein Wort mehr mit Fritz Kleesand zu sprechen. Dabei dachte er an seine Stange Lakritzen, die er noch ungeteilt in der Tasche hatte. Das war ein schwacher Freudenschimmer in seiner Verdüsterung. Nach kurzer Zeit erklärte Fritz Kleesand, er könne nicht mehr rudern, ihm würde schlecht. Er wurde plötzlich kreideweiß, und das Malheur war da. Anton erwischte mit Mühe die Riemen, und Hugo mußte ans Steuer. „Um Gottes willen, Mensch, paß auf. Sonst gehts schief. Zehn Minuten noch." Hugo, verstockt, sagte kein Wort. So schlängelten sie sich mit ihrem Boot wieder durch das Getümmel auf dem Strom zurück. Ihr Zwist hatte sie früher nach Hause getrieben, als sie beabsichtigt hatten, und führte sie nun mitten unter die Menge der heimkehrenden Arbeiter. Die Dampfpfeifen der verschiedenen Fabriken, die den Feierabend ankündigten, hatten sie in ihres Herzens Zorn überhört. Nun waren sie in das lebhafteste 138 Treiben hineingeraten, die kleinen, teilweise überfüllten Fährboote kreuzten jeden Augenblick ihren Weg. Lachen und Gesang schallte übers Wasser, und der dichte Qualm aus den schnell vorüberschießenden, niederen Schornsteinen verschleierte ihre Blicke. Anton rief alle AugenbHcke: „Backbordl Steuerbord! Mensch! Schaf!" Aber Hugo wurde nur verwirrt dadurch und hockte immer ängstlicher und unglücklicher am Steuer. Fritz Kleesand hatte sich schnell erholt und über^ legte, ob er nicht wieder die Führung übernehmen solle. Aber da war es auch schon zu spät. Nach einem ver«« zweiflungsvoll von Anton gezeterten „Hugo!" ertönte ein Pfeifen, Schelten, Schrammen, Knirschen. Ein Rie*» men zerbrach am Bug des Dampfers, und die drei Jungen lagen im Wasser. Böte schössen von allen Seiten heran und zogen sie wie nasse Katzen wieder heraus. „Jungstüg! Infamichtes! Jackvoll möt ji hebbn!" „Dat helpt nu nich. Man ers drög Tüg." „Dat is den Kleesand sin Bengel!" „Na, un köp di man n stiven Grog bi dinVadder." So klang es durcheinander, und die letzte Bemerkung war von einer bezeichnenden Handbewegung begleitet. Die Jungen aber fuhren aufeinander los und gaben sich gegenseitig die Schuld, bis ein alter Bootsmann sie grob anließ: „Holt Mul! Sünst givt dat furts wat." Spamenche Buchdruckerei in Leipzig 139 Guftav Falke Gedichtbücher Mynheer der Tod. 2. Auflage. Gebunden 4 Mark Tanz und Andacht. Gedichte aus Tag und Traum. 2. Auflage. Gebunden 4 Mark Zwifchen zwei Nächten. Neue Gedichte. 2. Auf. läge. Gebunden 3 Mark Neue Fahrt. 2. Auflage. Gebunden 4 Mark Mit dem Leben. 2. Auflage. Gebunden 3 Mark Hohe Sommertage. Neue Gedichte. Vergriflfen Frohe Fracht. Neue Gedichte. Gebunden 3 Mark Die Auswahl. Gedichte. Buchausftattung von Pro:» feffor C. O. Czefchka, Hamburg. Gebunden 5 Mark Ausgewählte Gedichte, ii. bis 15. Taufend. (Ausgabe der Hamburgifchen Hausbibliothek.) Ges bunden 1 Mark Dichtungen Der geftiefelte Kater. Dichtung in elf Gefangen. Umfchlagzeichnung von Profeffor C. O. Czefchka, Harn? bürg. Neue Ausgabe. Gebunden 2 Mark Putzi. MärchensKomödie in 5 Akten. Gebunden 2 Mark 50 Pfennig Der Kuß. Ein Capriccio. Geheftet 60 Pfennig Verlag Alfred Janssen, Hamburg und Berlin Guftav Falke Profabücher Aus dem Durchfchnitt. Roman. 2. Auflage. Ge«» bunden 3 Mark Der Mann im Nebel. Roman. 3. Auflage. Ge. bunden 3 Mark 50 Pfennig Die Kinder aus Ohlfens Gang. Roman. 4. und 5. Taufend. Gebunden 4 Mark 50 Pfennig Aus Muckimacks Reich. Märchen und Satiren. Mit Buchfchmuck von M. Dafio. Gebunden 4 Mark Potts. Harmlofe Humoresken. Geheftet 1 Mark Timm Kroger. Eine Einführung. Kartoniert 60 Pfennig Bilderbücher für die Kinder En HandvuU Appeln. Plattdütfche Rimels vor unfe Göm. Mit bunten Bildern von Theodor Herr:* mann. Gebunden 2 Mark Otto Speckters Katzenbuch. Mit Gedichten von Guftav Falke. 26. bis 30. Taufend. Gebunden 50 Pfennig Otto Speckters Vogelbuch. Mit Gedichten von Guftav Falke. 16. bis 21. Taufend. Gebunden 1 Mark Guftav Falke als Lyriker. Eine Einführung von Dr. M. Spanier mit felbfibiographifcher Skizze Guftav Falkes. 4. Auflage. Kartoniert 60 Pfennig Verlag Alfred Janssen, Hamburg und Berlin Gufiav Falke Die Kinder aus Ohlfens Gang Roman 4, und 5. Taufend Gebunden 4 Mark 50 Pfennig Eine reizende Mittelftandsgefchichte, ein kleine bürgerliches Idyllenleben von frifcher Jugend^ lichkeit. (Hochland) Ein überaus fchlichtes und reines Buch. Der es fchrieb, hat jede Zeile in feinem Herzen ge«* tragen, und das zitternde, fchlagende Blut hat von feiner Bewegung und feiner Wärme einem jeden Wort mitgegeben. Darum lebt man diefes kleine, frohe, trauernde, verärgerte, höhnifche, manchmal gar ein wenig tragifch drohende Leben in einer ftillbewegten Teilnahme mit. (Das literar. Echo) Falke hat uns einen Beitrag zu dem großen Bilde Hamburg geliefert, für das wir ihm danken muffen. Der Freund einer einfachen, klaren und doch künftlerifchen Darftellung wird das Buch liebges^ winnen. (Münchner Neuefte Nachrichten) Das Lokalkolorit ift mit folcher Treue und Ur^s wüchfigkeit getroffen, daß man fich gern hinein^ träumt in diefe ureigene Welt, daß man ordent^« lieh umweht wird von dem fpezififch Hamburger Dunft und Rauch und den Duft nach Teer und Grog mit Wonne einatmet . . Es ift eine Herzens^ freude, das Buch zu lefen. (Oftfeezeitung, Stettin) Ein Buch fo voller Poefie und Schönheit, fo voll echter Liebe zur Heimat, daß es jeder mit inniger Freude lefen wird. (Hamburger Fremdenblatt) Gufiav Falke Aus Muckimacks Reich Märchen und Satiren Buchfchmuck von Maximilian Dafio Gebunden 4 Mark Kunftmärchen, eine gefährliche Sache 1 Nicht vielen gelingen fie, Falkes Fabulierkunft ift es ge^ lungen. Man wird nie gerade hinaus lachen, aber immer lächeln über dem feinen Buch, es fteckt viel Weisheit darin und goldener Humor, felbft die Ironie wird nicht bitter. (Literarifche Warte) Heller, heiterer, märchenhafter wird die Welt, wenn wir in Guftav Falkes Märchenbuch ein«» dringen. (Das literarifche Echo) Das ift eines der fchönften Bücher, die uns Guftav Falke gefchenkt hat. (Oftdeutfche Rundfchau) Feine Schelmerei und lächelnder Humor wohnen in den Märchen, ohne daß die Naivität dabei zu* fchanden würde. (Weftermanns Monatshefte) Der Dichter ift ein feiner Erzähler und weiß mit fchelmifchem Lächeln und leifem Necken uns in feinen Zauberbann zu ziehen. Ein ko£u bares Gefchenkwerk. (Oftfriefifches Schulblatt) Reizvolle Märchen in kindlichem und zugleich künftlerifchem Tone. (Berliner Tageblatt) Maximilian Dafio in München hat das Buch kö[U lieh und überaus reich illuftriert. Man wird (th ten einem fo ausgezeichneten Buchfchmuck be* gegnen. Er hat hier nicht nur ausgezeichnet Schönes, fondern auch eigentümlich Deutfehes gefchaflFen, daß man feine herzliche Freude daran haben kann. (Deutfche Monatfchrift) Guftav Falke Der gefiiefelte Kater Dichtung in elf Gefangen Umfchlagzeichnung von Profeffor C. O. Czefchka Neue Ausgabe Gebunden 2 Mark Aus dem bekannten putzigen Märchen hat Falke ein köftliches Heldengedicht in Hexametern ge* ftaltet. Mit einer behaglichen Luft an kleinen Zügen und Charakterbildchen ift die Rolle des Hinze er^ weitert und bedeutend lebendiger geraten, als das Original fie kennt. Man kann fagen, daß die ganze Gefchichte vermenfchlichter zu uns fpricht. Die Form ift meifterhaft bewältigt: es ift hiermit be^^ wiefen, daß auch das moderne Deutfeh willig dem antiken Metrum folgt, wenn ein echter Dichter und Sprachgeftalter fich desfelben bedienen will. (Literarifche Warte) Der Hexameter mit feinem heldenhaften Schritt ironifiert leife den Katerhelden; man lächelt leife, wenn man die wuchtigen Verfe lieft. Falkes ge^ ftiefelter Kater bewährt fich an uns als das Werk eines echten Dichters, der mit feiner Zauberrute uns wieder zu Kindern macht. (Neue Preußifche (Kreuzs^) Zeitung) Diefe epifche Behaglichkeit mit ihrem fonnigen Humor tut einem ordentlich wohl. (Kölnische Zeitung) Ganz Heiterkeit und lachende Lebensfreude. (Westermanns Monatshefte) Ein liebes, reines Buch voll Kinderfchalkhaftigs» keit und heiterer Grazie. Es verdient in viele Hände und Häufer zu kommen. (Neues Wiener Tageblatt) University ol Toronto Library 434010 i Sehnsucht auf" DO NOT y REMOVE / THE // ~ -p CARD 11 FROM ^ Falke, Gustav m "Unruhig THIS \ POCKET \ 5 Acme Library Card Pocket LOWE-MARTIN CO. limited K^ f t-